Im Gespräch IoT4 Industry & Business

Stefan Gottwald: Zwischen Visionen und Mehrwert

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„Es ist bei IT-Projekten bzw. IoT-Projekten im Automatisierungsumfeld notwendig eine Vision zu haben.“ Stefan Gottwald, Country Director Austria bei Routeco

Wie kann man IoT zum Leben erwecken? Stefan Gottwald, Country Director Austria bei Routeco rät zum Blick über den Tellerrand und zu einem Kulturwandel in der Projektarbeit. Was er über den österreichischen Maschinenbau, die Gründe für Lieferengpässe und das Datensammeln denkt, hat er im Interview verraten.

 

IoT4industry&business: Wir verwenden alle sehr gerne die Begriffe IoT bzw. IIoT. Aber wie erweckt man diese Worte konkret zum Leben?
Stefan Gottwald: Dazu muss man über den Tellerrand hinausblicken. Chancen sehen, die hinter den Möglichkeiten der heutigen Technologien stehen und daraus einen Mehrwert generieren. Dazu bedarf es allerdings eines kulturellen Wandels. Es geht z.B. darum, intelligente Komponenten einzusetzen, mit denen man mehr über eine Maschine erfährt. Also nicht nur einfachste Sensorwerte, sondern auch zusätzliche Informationen. Etwa wie es dem Sensor geht, bewegen sich die Sensorwerte aus seinem definierten Bereich heraus, woraus ich schließen kann, dass er defekt ist bzw. kurz davor steht defekt zu werden?

Dazu ein konkretes Beispiel eines Referenzkunden aus dem Bereich Lüftung und reine Luft. Der setzt Sensoren ein, um durch Differenzdruckmessung am Filter festzustellen, wann ein Filtertausch notwendig ist. Das kombiniert er etwa mit der Information, über die Qualität der Umgebungsluft und ob die Maschine in Betrieb ist oder nicht. Damit kann er einerseits die Wartung optimieren aber auch das Service an seine Endkunden kalkulatorisch richtig berechnen Diese intelligente Verknüpfung hat viele positive Folgewirkungen, mit denen man zusätzliches Geschäft gewinnen kann.

IoT: Beim Datensammeln scheiden sich die Geister. Die einen meinen, man soll nur jene Daten sammeln, die tatsächlich gebraucht werden – die anderen sind der Meinung, man braucht alle nur erdenklichen Daten, um auch künftige Zusammenhänge sehen zu können. Was meinen Sie?
Stefan Gottwald: Das bringt mich auf einen Punkt, der generell wichtig ist: es ist notwendig bei IT-Projekten bzw. IoT-Projekten im Automatisierungsumfeld eine Vision zu haben, wie einer unserer Referenzkunden Rauch Furnace Technology. Dieser hat sich das Ziel gesetzt, Simulations- mit Echtdaten aus der Produktion zu vergleichen, um Innovationszyklen zu verkürzen Natürlich gibt es in jeder Automatisierungsebene bereits Unmengen an Daten und unheimlich viele Informationen über den gesamten Produktionsprozess. Solche Daten gibt es en masse. Es ist aber wichtig zuerst zu überlegen: welche Services möchte ich in Zukunft anbieten, welche Daten muss ich miteinander kombinieren und welche Daten benötige ich zusätzlich. Das ist eine Aufgabe, die für viele Maschinenhersteller neu ist. Dazu müssen sie gemeinsam mit ihren Kunden den gewünschten Mehrwert identifizieren, der oft in ganz anderen Bereichen liegt, als gedacht. Dieser nötige Beratungstask wird sträflich vernachlässigt. Dadurch erkennen viele Anbieter ihr Potenzial gar nicht.

IoT: Viele Unternehmen springen sehr enthusiastisch auf den Zug in die Digitalisierung auf, stürzen sich förmlich in IoT-Projekte hinein. Was passiert dann weiter, vor allem dann, wenn man die angesprochene Vision nicht hat?
Stefan Gottwald:
Es gehört meiner Meinung nach zu einer professionellen IoT-Projekt-Beratung, die Rahmenparameter für die einzelnen Phasen festzuzurren, damit das Projekt nicht zu einer „Wünsch-dir-was-Liste“ wird, die permanent wächst. Denn die logische Konsequenz daraus wäre, nie einen Erfolg zu verbuchen. Moderne IoT-Projekte sind meiner Meinung nach so abzuhandeln, dass man klare Zieldefinitionen für jede einzelne Phase festlegt, damit das Ziel auch wirklich erfolgreich erreicht werden kann. Für die Zielerreichung gilt: Mehrwert sowohl Know-how-mäßig als auch betriebswirtschaftlich, damit man in die nächste Phase der Investition treten kann.

Das ist nicht mehr so wie früher, als am Beginn eines Projektes eine große Investition, ein großes Ziel für die Zukunft stand. Am Weg dorthin hat man häufig bemerkt, dass das Ziel gar nicht richtig definiert wurde. Das kann man dadurch vermeiden, indem man mit kleinen Schritten vorangeht und von gut entwickelten Basistechnologien wegstartet, die sich selbst nachhaltig weiterentwickeln. Das ist die Aufgabe der beratenden Organisation – so wie wir es bei Routeco verstehen – dem Kunden das klarzumachen, damit am Ende des Tages alle das Projekt gemeinsam weiterentwickeln können. Von Erfolg zu Erfolg.

IoT: Das ist ja genau der Ansatz von Routeco, seinen Kunden ein niederschwelliges IoT-Angebot zu bieten.
Stefan Gottwald: Ja, absolut. Unterhalb der ausgewachsenen IoT Projekte gibt es in Österreich ein relevantes Marktsegment, welches die Chancen von IoT nutzen möchte und eine niedrige Einstiegsschwelle benötigt. Es handelt sich dabei oft um Nischenplayer, die in ihrem Bereich Weltspitze sind, die aber kein eigenes IoT Team finanzieren wollen, welches sich dauerhaft exklusiv mit dem Thema beschäftigen kann.

Mit Cumulocity IoT haben wir eine IoT Plattform im Portfolio, die alle gewünschten Parameter erfüllt und eine generische Lösung mit einer sehr großen Anzahl an zertifizierten plug & play Gateways und Geräten und einer Vielzahl an unterstützten Automatisierungsprotokollen darstellt. Das heißt unsere Kunden können im Standard bereits sehr viel machen, so dass das Key-Know-how über die Applikation und die Maschine im Unternehmen des Maschinenbauers bleibt. Der Kunde ist nicht unmittelbar auf Systemintegratoren oder Softwarehersteller angewiesen, um neue Services zu generieren. Mit der low-code Lösung Cumulocity IoT bringen wir somit einen echten Mehrwert in das Unternehmen und nehmen ihm die Bürde, in Softwareentwicklung investiert zu müssen. Sollte darüber hinaus Bedarf bestehen, bietet die Lösung natürlich entsprechende Erweiterungsmodule wie z.B. im Analytics Bereich und state-of-the-art Programmiermöglichkeiten wie Microservices oder Webanwendungen zur spezifischen Weiterentwicklung. Dabei stehen wir natürlich auch gerne beratend zur Seite.

IoT: Wo liegen Ihrer Erfahrung nach die größten Hemmnisse oder Befürchtungen ihrer Kunden vor Start eines IoT-Projekts? Und wie kann man sie den Unternehmen nehmen?
Stefan Gottwald: Bei vielen geht es noch gar nicht um konkrete Befürchtungen, sondern erst einmal darum überhaupt ihre Erwartungen zu definieren. Viele Kunden erkennen, dass sie etwas machen müssen, haben aber noch kein klares Bild, was das sein könnte. Hier beraten wir und zeigen auch mittels Use Cases die verschiedenen Möglichkeiten auf.

Die Kunden haben hier oft einen blinden Fleck und sehen noch nicht, was sie überhaupt machen könnten. Sie sind noch sehr in traditionellen Denkmustern verhaftet. Das heißt: sie versuchen mit herkömmlichen Maßnahmen die aktuelle Situation besser zu machen bzw. effizienter zu gestalten. Was hier fehlt, ist darüber hinauszublicken. Also zu schauen, ob man mit Daten, die ganz woanders herkommen, in Kombination mit bestehenden Daten etwas erreichen kann. Etwa ob man einen Mehrwert bieten kann, indem man etwa ein essentielles Werkzeug mit einem Zusatzfeature wie z.B. einem Geofencing versieht. Das sind Themen, die der typische Maschinenbauer nicht auf seiner Agenda hat. Was schade ist, denn möglicherweise gibt es beim Kunden bestimmte Probleme, die der Maschinenbauer mit etwas Kreativität zusätzlich für seine Kunden lösen könnte. Das würde für ihn auch ein neues Marktsegment und ein weiteres Alleinstellungsmerkmal bedeuten.

IoT: Corona war für viele Anwender ein großer Digitalisierungstreiber. Gilt das auch für die Anbieter? Waren die letzten beiden Jahre Technologietreiber oder sind die Kunden einfach erst jetzt auf die zahlreichen Möglichkeiten aufmerksam geworden?
Stefan Gottwald: Unsere bestehenden Fernwartungstools sind ein Marktsegment, das bei uns über viele Jahre schon sehr, sehr stark gewachsen ist. Corona und die damit einhergehenden Reisebeschränkungen haben sehr viele unserer Kunden davon abgehalten zu Inbetriebnahmen und Wartungen vor Ort zu fahren. Das heißt, die Endkunden mussten gewisse Restriktion, Fernzugriff zu erlauben, auflösen. Das ist mit Sicherheit dadurch ein noch stärker wachsendes Marktsegment für uns geworden, allerdings kein neues. Aktuell sprechen wir mit unseren Bestandskunden, die bereits tausende unserer edgefähigen Komponenten einsetzen. Jetzt können diese Hardware-Module Daten sammeln, vorverarbeiten und bei Bedarf in die Cloud schicken wo sie in der Cumulocity IoT zu neuen Infos verarbeitet werden und in Dashboards rollenspezifisch einfach verteilt werden können. Da hat Corona sicher verstärkend gewirkt.

IoT: Der Branche geht es grundsätzlich gut. Woran es meist scheitert, sind die fehlenden Teile. Stichwort Lieferengpässe. Wie schaut es bei Ihnen aus?
Stefan Gottwald: Materialverfügbarkeit ist für uns als Händler ein Tagesthema. Was man aber dazu sagen muss ist, dass das nicht ausschließlich aufgrund von Supplychain-Problemen der Fall ist, sondern auch wegen der massiv wachsenden Märkte.

Die Hersteller investieren mittlerweile in Ressourcen, bauen Abteilungen um, ändern Algorithmen, um diese Probleme zu glätten. Dennoch glaube ich, dass wir die Effekte noch die nächsten zwei Jahre sehen werden, weil sich die verschiedenen Bottlenecks am globalen Markt andauernd verlagern werden. Die Prognoserechnungen werden damit zu einem Problem, denn jeder muss schließlich seine Produktionskapazitäten vorausschauend fürs planen.

Was wir auch feststellen ist, dass es in der Produktion wieder Verlagerungen zurück nach Europa gibt, was mit einer Zeitverzögerung auch zu mehr Stabilität führen wird.

Routeco selbst hängt auch stark von der Entwicklung des amerikanischen Endkundenmarktes ab, da einer unserer Schwerpunkte darin liegt, österreichische Maschinenbauunternehmen bei ihrem Markteintritt bzw. ihrer Marktperformance im US-amerikanischen Markt so zu unterstützen, dass sie dort erfolgreicher, risikoloser und schneller zum Erfolg kommen.

IoT: In den letzten Jahren sind sehr viele Begriffe über Industrie 4.0 bis zu IoT entstanden. Haben Sie das Gefühl der nächste Trend wartet schon? Oder ist jetzt einmal ein bisschen Ruhe und man kann die vorhandenen Aufgaben aufarbeiten?
Stefan Gottwald: Trends kommen und gehen. Allerdings haben sie in den letzten Jahren vorrangig mit Digitalisierung zu tun und das ist damit ein umfassender und langer Weg. Einerseits weil man ihn ganzheitlich beschreiten sollte, damit sich tatsächlich der Mehrwert maximiert und andererseits bieten sich sehr viele Möglichkeiten, die darauf aufbauend generiert werden können.

Ein weiteres essentielles Thema ist Cybersecurity. Das ist ein sehr heißes Thema. Auch für uns. Und hier sind wir froh, dass wir mit namhaften globalen Herstellern zusammenarbeiten, die in diesen Bereichen relevant investieren. Daher können wir unsere Kunden in Sachen Security beraten. Das geht definitiv die nächsten Jahre Hand in Hand mit der Digitalisierung. Es bleibt also spannend.

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