Im Gespräch IoT4 Industry & Business

Bernd Kremer: Einfach machen

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„Industrie 4.0 war die Digitalisierung der Produktion. Smart Production ist eine flexible Produktion, die verschiedenste Einflüsse von Energiekosten, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel, Flexibilität und Volatilität der Stückzahlen abdeckt“, sagt Bernd Kremer, COO Digital Industrial Solutions bei German Edge Cloud Unit.

Wie kann die Smart Production Realität werden? Bernd Kremer, COO Digital Industrial Solutions bei German Edge Cloud Unit, setzt auf Verbundlösungen, Transparenz und drei digitale Zwillinge. Was das im Detail bedeutet, hat er uns in einem Gespräch bei seinem letzten Österreichbesuch erklärt.

 

IoT: Die Friedhelm Loh Group, zu der auch die German Edge Cloud gehört, stellt die Wertschöpfungskette ihrer Kunden in den Fokus. Warum?
Bernd Kremer: Industrieunternehmen, die auf dem Weg zur Smart Production sind, stehen unter hohem Veränderungsdruck. Daher ist es wichtig, die Prozesse entlang der Wertschöpfungsketten unserer Kunden zu verstehen und übergreifende Lösungen entwickeln. Unsere Überzeugung ist: Das ist nur über standardisierte Plattformen möglich. Und über die Vernetzung von übergreifenden Ökosystemen, die Kombination von Software- und Hardwarelösungen und die Optimierung digitaler Prozesse. Schon ein zweiter Standort eines Unternehmens macht es erforderlich, dass Produktionssysteme digital aufeinander abgestimmt werden. Stellen Sie sich vor, das Engineering ist an einem Standort und die ausführenden Einheiten an einem anderen. Das muss man abbilden. Und dafür braucht man eine Verbundlösung. Für die Anbieter folgt daraus: sie müssen mit dem Kunden nicht nur über Technologie reden, sondern seine Anforderungen, Probleme und Prozesse genau verstehen. Und dann die passende technische Lösung für die jeweilige Aufgabe finden.

IoT: Was unterscheidet Smart Production von Industrie 4.0?
Bernd Kremer: Industrie 4.0 war die Digitalisierung der Produktion. Smart Production ist eine flexible Produktion, die verschiedenste Einflüsse von Energiekosten, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel, Flexibilität und Volatilität der Stückzahlen abdeckt. Was für uns ebenfalls wichtig ist, ist das Thema Energieoptimierung. Also Wege zu finden, aus den vorhandenen Daten einen energieoptimierten Produktionsplanungsprozess zu machen. Ein weiterer Unterschied: In der Industrie 4.0 spielte der Mensch keine bzw. nur eine zu kleine Rolle. Für uns spielt er bei der Smart Production definitiv eine Rolle.

IoT: Am Rittal-Standort in Haiger ist die Smart Factory bereits weit fortgeschritten. Wie sieht das aus?
Bernd Kremer: Damit Rittal in Haiger täglich tausende Kompaktschaltschränke und Kleingehäuse produzieren kann, muss die Transparenz über die gesamte Fertigung gewährleistet sein. Denn nur dann können die Mitarbeiter faktenbasierte Entscheidungen treffen. Dazu haben wir ein Live-Dashboard-System als Virtual Factory installiert, das zeigt beispielsweise den Produktionsfortschritt in Stückzahlen, Taktzeiten, Transportaufträge der fahrerlosen Transportsysteme sowie Engpässe, Probleme und Störungen. Diese werden via Alarm anzeigt. Damit können die Verantwortlichen jederzeit schnell reagieren und eingreifen. Das Live-Dashboard-System basiert auf unserem ONCITE Digital Production System.

IoT: Rittal ist damit ein Vorreiter. Wie kann man andere Unternehmen mit ins Boot holen?
Bernd Kremer: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Der schlechteste Ansatz ist zu versuchen, dem Kunden nur die Technologie zu erklären. Wir machen das ganz einfach mittels Proof of concept, d.h. wir zeigen es konkret. Das Beste ist es klein anzufangen, es zu zeigen und es dem Kunden einfach zu machen. Und wenn es im Unternehmen Männer und Frauen gibt, die über den Tellerrand hinausschauen und erkennen, wo sich eine Produktion hin entwickeln könnte, dann werden sie sehen, dass sie mit dem Bestehenden nicht dauerhaft weiterarbeiten können. Der Umstieg geht aber nur schrittweise.

IoT: Sie sprechen von drei digitalen Zwillingen. Was ist damit gemeint?
Bernd Kremer: Die vier Schwesterfirmen Rittal, Eplan, Cideon und German Edge Cloud wollen drei verschiedene Ökosysteme mit ihren digitalen Zwillingen verbinden. Rittal und Eplan digitalisieren die gesamte Wertschöpfungskette des Steuerungs- und Schaltanlagenbaus vom Engineering bis in die Operations-Phase der Anlagen. Das ist der Anlagenzwilling. Cideon steigert die Datendurchgängigkeit rund um den digitalen Produktzwilling mit ihrer Erfahrung in CAD/CAM, PDM/PLM und der Produktkonfiguration. Und German Edge Cloud nutzt die Daten zur schnelleren Vernetzung und Prozesstransparenz mithilfe des digitalen Fertigungszwillings. Wenn es uns gelingt, für alle drei je einen vollständigen digitalen Zwilling zu erzeugen und diese klug zu verbinden, ist das ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur smarten Fertigung und macht die Prozesse transparenter und effizienter.

IoT: Es gibt ein interessantes Pilotprojekt von Porsche und der Schuler AG zum Thema Transparenz und Nachverfolgbarkeit.
Bernd Kremer: Dort geht es darum, laufende Produktionsstatusabfrage und die Transparenz der aktuellen Produktion möglich zu machen. Wesentlicher Bestandteil des Projekts ist die Schuler Digital Suite powered by ONCITE DPS“, für das wir ein zentrales Software-Modul beigestellt haben. Die Anwendung läuft seit Juni 2021. Im ersten Schritt geht es um die Rückverfolgbarkeit von Teilen.

IoT: Wie könnte ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Transparenz in der Produktion aussehen?
Bernd Kremer: Es wäre toll, wenn ich nicht nur über einen QR-Code an der Maschine sehe, wann und wie diese gebaut wurde, sondern wenn auch zu jeder Zeit bekannt wäre, wie viele Zyklen diese Maschine bereits durchlaufen hat, wann die nächste Wartung fällig ist, wie die Auftragslage ist und der Stand der logistischen Verfügbarkeit, die Temperatur oder die Qualität des erzeugten Produktes. Das ONCITE DPS kann dann aus diesen Daten heraus auch Kausalitäten erkennen und in weiterer Folge Prozesse und Produktionen optimieren. Diese Optimierung betrifft Energieeffizienz, Auslastung, Fehlergenauigkeit, Abnutzung oder Verfügbarkeiten.

IoT: Welche Rolle spielt der Menschen in dem System?
Bernd Kremer: Menschen kennen ihre Anlagen und Maschine sehr gut. Wenn sie das Unternehmen verlassen, geht dieses Wissen häufig verloren. Daher muss es konserviert werden. Dazu braucht es eine Technologie, die mit dieser Menge an Daten zurechtkommt und auch die Flexibilität hat, um Modifikationen zu ermöglichen. Es braucht aber weiterhin die Menschen, die die Daten verstehen und dem System auf die Finger schauen.

IoT: Ist damit die autark selbstlernende smarte Factory schon in der Wirklichkeit angekommen?
Bernd Kremer: Noch arbeiten solche Systeme nicht vollständig selbstlernend, sondern mittels supervised learning. Das Validieren erfolgt weiterhin durch den Menschen.

IoT: Was unterscheidet den Ansatz von German Edge Cloud von anderen?
Bernd Kremer: Wir haben unser bestehendes fachliches Wissen der letzten 20 Jahre auf eine neue Architektur aufgesetzt. Viele Anbieter leben im Zwiespalt zwischen der Pflege des alten und neuen Systems. Wir haben den Vorteil, uns auf ein neues System, ONCITE DPS, zu fokussieren. Durch die Microservices-Architektur bringt es die Flexibilität und Offenheit, um es an verschiedenste Konstellationen anzupassen.

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