Um Satelliten im Weltraum sicher in der richtigen Umlaufbahn abzusetzen, braucht eine Rakete entsprechende Antriebe, deren Fertigung höchste Präzision erfordert. Millturns von WFL erfüllen diese Ansprüche.
Die ArianeGroup – Hauptauftragnehmer der europäischen Trägerraketen Ariane 5 und Ariane 6 – ist ein führendes Unternehmen auf dem Gebiet des Raumtransports im Dienste institutioneller wie kommerzieller Kunden und gewährleistet dabei Europas strategische Unabhängigkeit im All. Zu den wichtigsten Standorten der ArianeGroup zählt Ottobrunn bei München, das Kompetenzzentrum für Flüssigkeitsantriebe. Hier werden Komponenten für die Triebwerke der europäischen Ariane-Trägerraketen entwickelt und produziert. Zurzeit liegt der Schwerpunkt auf den Schubkammern für das Hauptstufentriebwerk der Ariane 6, Vulcain 2.1 sowie für das neue, wiederzündbare Oberstufentriebwerk Vinci.
Ein Blick in die Welt der Raumfahrt.
Beim Rundgang durch die Produktion gibt Stefan Winter, Fertigungsleiter in Ottobrunn, informative Einblicke: In unserem Produktionszentrum sind die meisten Prozesse vereint, von spanabhebender Fertigung und Fügetechniken über die Integration bis hin zur Qualitätsprüfung. Um die Erde zu verlassen braucht eine Rakete viel Energie. Das erledigen bei der Ariane 6 zunächst die Feststoffbooster mit einem Schub von etwa 13.000 kN, die in den ersten beiden Minuten nach dem Start die rund 800 Tonnen schwere Rakete vom Boden abheben lassen. Die Hauptstufe mit dem Vulcain 2-Triebwerk liefert weiter Schub, bis die Rakete rund neun Minuten nach dem Start eine Höhe von etwa 160 Kilometer erreicht hat. Im Weltall übernimmt die Oberstufe der Ariane 6 mit dem neuen Vinci-Triebwerk. Je nach Mission ist dieses Triebwerk rund 15 Minuten in Betrieb, um die Oberstufe mit Satelliten im Weltraum in der richtigen Umlaufbahn abzusetzen.
Für das Vinci-Triebwerk wird in Ottobrunn die Schubkammer – das „Herzstück“ des Triebwerks – entwickelt und hergestellt. Vinci arbeitet mit tiefkaltem Wasserstoff und Sauerstoff als Expander Cycle: „Zuerst umströmt der Wasserstoff die Brennkammer, kühlt sie herunter und verdampft dabei. Die entstehenden Gase werden als Antriebsmedium für die Treibstoffpumpen genutzt und anschließend zusammen mit dem Sauerstoff in die Brennkammer geleitet und verbrannt“, schildert Stefan Winter. „Dieses sogenannte Expander Cycle Triebwerk gibt es auf der ganzen Welt nur einmal in dieser Performance.
M80 Millturn fertigt das Vinci-Triebwerk.
Die meisten Triebwerksteile aus Ottobrunn werden auf einer WFL-Maschine des Typs M80 gefertigt. Zu diesen Teilen zählt auch der Brennkammer-Grundkörper des Triebwerks. Im ersten Schritt wird der Grundkörper zum Drehen der Innenkontur vorbereitet. Anschließend erfolgt das Drehen und Fräsen der Außenkontur. Diese beiden Vorgänge wurden früher auf zwei Maschinen durchgeführt.
Mit der M80 Millturn werden nun beide Prozesse – Drehen und Fräsen – vereint und eine stabile Aufspannung garantiert (Nullpunktspannsystem). Das ist besonders bei Teilen mit langer und schlanker Bauart wie der Vinci-Brennkammer ein großer Vorteil und sorgt für maximale Flexibilität in der Fertigung, betont Winter. Als Material verwendet man beim Grundkörper des Vinci-Triebwerks eine patentierte Kupfer-Silber-Zirkon-Legierung, die sich durch hohe Festigkeit sowie einen guten Wärme-Übergangswert bei sehr guter Zerspanbarkeit auszeichnet. Die hauptsächlichen Schritte in der Fertigung der Brennkammer sind nach der Lieferung des Rohteils Drehen, Fräsen, Galvanisieren, Schweißen und schließlich die Endbearbeitung. 80% der Workload werden dabei mit der M80 realisiert.
Auf der M80 werden darüber hinaus auch Schnittversuche für die Zukunft durchgeführt. Die stabile Bauweise und die gute Kinematik geben hier mehr Möglichkeiten als gedacht. Mit Keramik-Schneidstoffen wurden bereits die ersten Versuche auf der M80 Millturn durchgeführt. Mittelfristig soll dieser Prozess auf der WFL-Maschine für Inconel und Nickel qualifiziert werden.
Innovationsgeist.
Auf der Millturn werden aktuell nicht nur Vinci-Bauteile gefertigt. Das Produktionsteam setzt die Maschine auch für die Produktion von Satellitenteilen, in der Entwicklung sowie für den Bau von Vorrichtungen ein. „Momentan arbeiten wir beispielsweise an Komponenten für die Antriebe der Zukunft – Prometheus zum Beispiel. Dies sind die ersten europäischen Triebwerke mit Verbrennungssteuerung, wobei sich der Motor an die Flugbedingungen der Trägerrakete in den unterschiedlichen Missionsphasen anpassen kann“, erläutert Winter.
Die Millturn-Frage.
„In puncto Bearbeitungszeiten konnte der Invest in die M80 Millturn/3000 mm einen enormen Mehrwert leisten“, so der Fertigungsleiter. Die WFL ersetzte eine 3-Achs-Dreh- und eine 3-Achs-Fräsmaschine. Auf der M80 implementierte man (wie bereits erwähnt) ein Nullpunktspannsystem, sodass das Rüsten nur noch einen Bruchteil ausmacht. Die Durchlauf- und Liegezeiten wurden somit um mindestens 30 % reduziert. „Ein großer Vorteil der M80 ist auch das große Werkzeugmagazin. Durch die Inconel-Bearbeitung haben wir immer zwischen vier und sechs Schwesterwerkzeuge in Verwendung, was ausreichend Werkzeugplätze erfordert. Diese Forderung erfüllt das modulare Konzept des Magazins. Sollte man doch noch mehr Werkzeuge brauchen, kauft man eben noch eine Werkzeugscheibe dazu. Und waren in der Vergangenheit für drei Prozesse drei NC-Programme und mehr nötig, so haben wir heute für die gleiche Arbeit nur noch ein NC-Programm zum Freigeben und Pflegen. Auch für das Configuration Management ist es eine deutliche Erleichterung, da hier weniger Daten gemanagt werden müssen. Das war ein riesiger Schritt nach vorne“, erzählt Winter begeistert.
Auf die Frage, wieso die Kaufentscheidung auf eine Millturn bzw. auf das Modell M80 fiel, war die Antwortet folgende: „Die Kinematik und die Referenzen der Maschine überzeugten schlussendlich zum Kauf. Worauf wir auch Wert legten, sind eine schnelle Ersatzteilversorgung, namhafte Hersteller der verbauten Komponenten und auch die Nähe zum Hersteller.“ Die Maschine ist mit einem Pick-Up Magazin und einer Systembohrstange ausgestattet. „In Zusammenarbeit mit WFL und Sandvik haben wir eine Sonderbohrstange von 1,4m Länge beschafft, um in Zukunft auch die Vinci-Innenkontur auf der M80 bearbeiten zu können,“ so Winter. Die Anforderungen an die Maschine betrafen außerdem die Zuverlässigkeit und Genauigkeit. Die Toleranz von etwa 1/100 im geforderten Arbeitsbereich muss die Maschine schaffen. Das ist unsere Anforderung. Temperatureinflüsse spielen hier eine große Rolle. Daher ist die Fertigungshalle klimatisiert und auch die Maschine ist temperaturüberwacht.
Gefragte Präzision.
Mit dem Softwarezyklus Utronix – der virtuellen U-Achse – werden bei der ArianeGroup spezielle Dichtflächen gefertigt. Denn an bestimmten Werkstücken werden zirkulare Oberflächen benötigt, und zwar in jedem Winkel. „Bei etwa 135 Grad müssen wir um eine 20er Bohrung mit einer Bohrstange eine Dichtfläche mit 28 mm zirkular bearbeiten. Diese wird dann immer größer. Daher ist der Utronix-Zyklus bei uns ganz oft im Einsatz und sehr wichtig“, beschreibt Winter die Bearbeitung im Detail.
Der Fertigungsleiter betont außerdem den Vorteil der neuen Maschine am Beispiel der Herstellung eines Düsen-Demonstrators: „Wir waren aufgefordert einen Düsen-Demonstrator zu bauen. Die Herausforderung war, eine komplexe konische Innenkontur mit Kühlkanälen herzustellen. Nur durch die Stabilität der Maschine war der Räumprozess mit einer Länge von knapp 500 mm machbar.“
Innovationsgeist.
Auf der Millturn werden aktuell nicht nur Vinci-Bauteile gefertigt. Das Produktionsteam setzt die Maschine auch für die Produktion von Satellitenteilen, in der Entwicklung sowie für den Bau von Vorrichtungen ein. „Momentan arbeiten wir beispielsweise an Komponenten für die Antriebe der Zukunft – Prometheus zum Beispiel. Dies sind die ersten europäischen Triebwerke mit Verbrennungssteuerung, wobei sich der Motor an die Flugbedingungen der Trägerrakete in den unterschiedlichen Missionsphasen anpassen kann“, erläutert Winter.
Um dies alles verwirklichen zu können braucht es neben entsprechender maschineller Ausrüstung ein motiviertes Team an Ingenieuren und Facharbeitern. Wenn eine Endbearbeitung mit einem Wert von mehr als einer halben Million auf der Maschine läuft, ist die Anspannung den Mitarbeitern anzusehen.
„Wir arbeiten hier mit teuren Materialien nach höchsten industriellen Standards mit höchstem Qualitätsanspruch. Beim Raketenstart gibt es keinen zweiten Versuch, deshalb können und dürfen wir uns keine Fehler erlauben“, schließt Winter seine interessanten Ausführungen.