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Roland Fleischhacker: Die Sprache des Kunden verstehen

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Wie KI die Kommunikation in Unternehmen effizienter und effektiver gestalten kann, verrät Roland Fleischhacker von Deepsearch im Interview.

Es gab bereits eine milliardenschwere Softwareindustrie, die sich mit strukturierten Daten befasste, als die Idee zu Deep Assist entstand. Denn damals, im Jahr 2010, gab es keinen Anbieter, der sich um die unstrukturierten Daten gekümmert hat. Das war die Geburtsstunde von Deepsearch. Wie Künstliche Intelligenz die Kommunikation innerhalb von Unternehmen effizienter und effektiver gestalten kann, verrät Roland Fleischhacker, Mitgründer und CEO von Deepsearch im Interview.

MM: Wie haben Sie das Potenzial hinter Ihrer Geschäftsidee erkannt?
Roland Fleischhacker: Für uns war unvorstellbar, dass sich niemand für die unstrukturierten Daten interessiert. Wir haben begonnen, uns intensiv mit Linguistik und Semantik zu beschäftigen und entwickelten eine Toolbox, mit der man Texte maschinell interpretieren und verstehen kann, mit der Einstellung „Das Produkt wird uns schon finden.“

MM: Wie hat Sie dann das Produkt gefunden?
Roland Fleischhacker: Im Zuge einer anderen Aufgabenstellung habe ich mehrere Tage in einem Callcenter verbracht und erkannt, dass das Gegenüber die Erwartungshaltung hat, in der Sekunde die perfekte Antwort zu erhalten. IT kann Dinge um ein 1.000faches schneller interpretieren als der Mensch. Um eine Lösung herbeizuführen, wurde damals noch in Ordnern geblättert und dementsprechend lang haben diese Telefongespräche gedauert. Dafür haben wir eine Lösung entwickelt.

MM: Ersetzt die Maschine den Menschen?
Roland Fleischhacker: Wir haben mehrere Anwendungsfälle. Wir haben ein Tool geschaffen, das Menschen unterstützt. Es heißt Deep Assist, weil wir die Arbeit von Menschen besser machen wollen. Hier unterscheiden sich zwei Bereiche: Einerseits werden sehr einfache bis mittelkomplexe Aufgaben vollständig übernommen, um Mitarbeiter bei Routineaufgaben zu entlasten. Andererseits decken wir den Bereich Agent Augmentation ab. Der Gesprächspartner merkt hierbei nicht, dass die Software „mithört“. Der Mitarbeiter erhält in Echtzeit Lösungsmöglichkeiten und wird dadurch kompetenter. Ein wichtiger Punkt ist, dass bei komplexen Callcentern die Ausbildung mehrere Monate in Anspruch nimmt. Das können wir dramatisch reduzieren.

MM: Für ein wirklich gutes Ergebnis braucht es Daten. Welcher Daten – strukturiert oder unstrukturiert – bedienen Sie sich?
Roland Fleischhacker: Wir verwenden die Informationsquellen des Kunden – müssen wir, denn die Geschäftspraxis ist von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Was wir machen, ist Natural Language Understanding. Das heißt, wir kriegen einen Text, sei er gesprochen oder schriftlich, den wir analysieren. Das Ergebnis geben wir dann an ein anderes System weiter, also wir enablen Automatisierungsprodukte.

MM: Wie zieht Deep Assist die richtigen Schlüsse aus den Daten?
Roland Fleischhacker: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Das richtige Verstehen der Frage und die Lösung. Die Lösung kommt immer vom Kunden. Für die richtige Interpretation der Frage haben wir einen riesigen Wissensgraphen aufgebaut, der ein Grundverständnis der Welt hat. Unser System umfasst knapp 200.000 Objekte mit Beziehungen untereinander. Jede Branche und jedes Unternehmen verwendet eine eigene Sprache, die sogenannte Domainsprache, die noch ergänzend hinzukommt. Wir bieten dem Mitarbeiter nicht die eine Lösung, sondern Lösungsmöglichkeiten. Wenn sich das System irrt, schickt es eine Meldung an den Knowledge Officer mit Verbesserungspotenzial. Man könnte das auch automatisch machen, aber dann wäre das System manipulierbar. Ein Mensch segnet den Lerneffekt ab. (Human in the loop)

MM: Wird der Knowledge Graph damit von Tag zu Tag automatisch „schlauer“?
R
oland Fleischhacker: Jeder Kunde bekommt seinen eigenen Knowledge Graph, den er ausschließlich selbst weiterpflegt. Das hat einerseits Securitygründe, andererseits führt eine zu hohe Fülle an Informationen, die für dieses Unternehmen keine Relevanz haben, unter Umständen dazu, dass die richtige Interpretation erschwert wird. 

MM: Welche Use Cases gibt es im Industriebereich?
Roland Fleischhacker: Wenn man in der Industrie von Automatisierung spricht, denkt man in der Regel z.B. an Produktionsstraßen, wo Industrieroboter stehen und Autos bauen, also Automatisierung von Muskelkraft. Wir schaffen vielmehr die Basis für die Automatisierung von kognitiven Prozessen. Entlang der gesamten Lieferkette passiert rege Kommunikation und hier können wir sehr hochfrequente Teile automatisiert oder teilautomatisiert abwickeln.

MM: Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel?
Roland Fleischhacker: Mir fallen gleich zwei Anwendungsbeispiele ein. Einen großen Stahlbetrieb mit 50.000 Mitarbeitern unterstützen wir im IT-Service-Management bei der internen Kommunikation. Eine andere Anwendung kommt aus dem Logistikbereich eines großen Leuchtmittelherstellers. Dabei geht es darum, die schriftliche Kommunikation des gesamten Bestellvorgangs zu automatisieren – also von der Anfrage bis zum Beschwerdeprozess – oder an die richtige Abteilung zu routen.

MM: Wo sehen Sie noch das größte Potenzial?
Roland Fleischhacker: Wir machen gerade erste Tests in der Analyse und Interpretation von Verträgen bzw. umfangreicher Schriftstücke. Das können z.B. Ausschreibungen sein, die zum Teil Hunderte Seiten umfassen. Wir können das Dokument in wenigen Sekunden analysieren und bewerten, ob eine Beteiligung an der Ausschreibung sinnvoll ist und zwar anhand von grundsätzlichen Parametern, die ein Ausschlusskriterium darstellen als Unterstützung von Menschen.

MM: Gibt es eine Grenze an Komplexität?
Roland Fleischhacker: Wenn in einem Text „wie oben erwähnt“ Bezug auf eine Information genommen wird, die aber für das Verständnis des aktuellen Textabschnittes wichtig ist. Das ist etwas, das haben wir zumindest noch nicht gelöst.

MM: Und in den Köpfen der Menschen?
Roland Fleischhacker: Tatsächlich fehlt es vielen Bereichen noch an Wissen, was heute schon möglich ist. Das merken wir häufig an den Reaktionen, wenn wir unser System vorstellen. Mehr Offenheit wäre wünschenswert, um zu erkennen, dass Künstliche Intelligenz seit vielen Jahren in der Praxis sehr gut funktioniert. Wenn Kunden Deep Assist ausprobieren wollen, dann betrachten wir den Anwendungsfall und sie können es kostenlos ausprobieren. Wir wollen zeigen, was alles möglich ist und wollen keine Barrieren aufbauen.

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