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Uwe Scharf: „Die Krise hat uns smarter und umsichtiger gemacht“

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Uwe Scharf trug beim DHK Technologieforum 2021 zu einer regen Diskussion über Klimaschutz, Nachhaltigkeit und künftige Energiegewinnung bei.

Die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit sowie auch künftige Energiegewinnung standen beim 5. Deutsch-Österreichischen Technologieforum 2021 im Palais Berg in Wien im Fokus. Diverse Vorträge von Experten aus den Führungsetagen bedeutender deutscher und österreichischer Unternehmen trugen zu einer regen Diskussion an den zwei Veranstaltungstagen (10./11. November 2021) im Wiener Palais Berg bei. DI Uwe Scharf war einer von ihnen.

DI Uwe Scharf, Geschäftsführer Business Units und Marketing, Rittal Deutschland, referierte zum Thema „Durchgängige Digitalisierung – Erfolgsrezept in der Krise: Verlässlicher Partner für den Kunden und Absicherung der eigenen Unternehmensstrategie“. Sein Credo lautete, dass Unternehmen gerade jetzt dazu gezwungen seien, die Effizienz ihrer Prozesse zu hinterfragen und ganz neue Lösungen einzusetzen – vom Steuerungs- und Schaltanlagenbau für die diversen Branchen bis zur fertigenden Industrie mit zunehmenden, oft ungenutzten Datenmengen in der Produktion. „Dafür braucht es einfache Lösungen und Mut“ – betonte er in seinen Ausführungen.

Über Veränderungen nicht nur zu reden, sondern sie schnell und konkret umzusetzen, ist dabei seine Forderung. „Gemeinsam mit unseren Kunden schaffen wir die Voraussetzungen, um die steigenden Digitalisierungs-, und Produktivitätsziele zu erreichen.“ Die aktuellen Herausforderungen bei Materialbeschaffung und Logistik hätten auch für Global Player die Relevanz von Produktionskapazitäten vor Ort verdeutlicht: Produktion müsse auch in Westeuropa weiter möglich sein. Effizienzsteigerungen durch Automatisierung und Digitalisierung machten es möglich, weiter in der Heimat in die Zukunft zu investieren oder Produktionskapazitäten zurückzuholen. Das Gespräch mit Uwe Scharf führte Stephanie Englert.

MM: Herr DI Scharf: In Ihrem Vortrag sprachen Sie davon, dass digitale Technologien für Unternehmen ein Überlebensfaktor geworden sind. Was antworten Sie den Unternehmen, die dieser Aussage nicht zustimmen?
DI Uwe Scharf: In meinem Vortrag während des DHK Technologieforums habe ich es relativ „drastisch“ formuliert. Ich habe betont, dass digitale Technologien für Unternehmen heutzutage überlebenswichtig sind – das ist richtig und ich habe es auch genau so gemeint. Ich bin überzeugt: Wer sich heutzutage nicht mit dem Thema der Digitalisierung beschäftigt – unabhängig vom Produkt im Unternehmen – kann auf Dauer nicht mehr erfolgreich am Markt sein. Es ist ein Muss geworden und kein „nice-to-have“.

MM: Können Sie konkreter werden?
DI Scharf: Für mich ist etwa die Firma Würth ein gutes Beispiel, wie man es in Bezug auf Digitalisierung „richtig“ macht. Der Erfolg der Schraube von Würth liegt in dem Geschäftsmodell und der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens mit allem, was Würth rund um das Produkt „Schraube“ am Markt umsetzt. Allein die „Schraube“ macht den Erfolg eben nicht mehr aus.

MM: Ähnlich verhält es sich dann auch beim Schaltschrank von Rittal?
DI Scharf: Rittal bietet einzigartig durchdachte Schaltschranksysteme, die durch ihre Qualität am Markt sehr gut ankommen, mit einem Entwicklungs-Know-how von nun 60 Jahren. Aber: Wir als Unternehmen Rittal differenzieren uns über unser Geschäftsmodell, diverse Zusatzleistungen, den digitalen Zwilling im Zusammenwirken mit unserer Schwesterfirma Eplan und damit verbundene Prozessverbesserungen, die wir den Kunden ermöglichen. Es handelt sich also um ein Gesamtpaket, denn allein das mechanische Produkt reicht heute nicht mehr aus.
Würden wir uns nur auf dieses beschränken, wanderten unsere Kunden sehr rasch in preiswertere Regionen. Mittels Zusatzangeboten bzw. Nutzen über das Einzelprodukt hinaus ermöglichen wir und andere Unternehmen heutzutage unseren Kunden, dort zu wirtschaften, wo sie sind: in Zentraleuropa bzw. in Deutschland oder eben Österreich. Wer das nicht erkennt, läuft Gefahr, den falschen Weg am Markt einzuschlagen – mit schwerwiegenden Folgen.

MM: Hat die Krise am Markt, bedingt durch Corona und die daraus resultierenden Folgen, diesen Effekt lediglich beschleunigt?
DI Scharf: Manche Dinge sind vielleicht absehbar, andere aber nicht. Die Glaskugel hat niemand vor sich. Dass aber Veränderungen und Szenarien vorgedacht werden müssen, davon bin ich überzeugt. Entscheidend für jeden Unternehmer ist doch, dass er seine Prozesse versteht und in der Lage ist, schnell auf Veränderungen reagieren zu können.

MM: Gehen Sie davon aus, dass es einigen Unternehmen genau so erging in den vergangenen Monaten/Jahren, nämlich dass sie ihre Prozesse nicht verstanden haben und während der Krise in einen Notfallmodus geraten sind – mehr schlecht als recht?
DI Scharf: Dieser Situation sollte man vorbeugen. Wer erst in der Krise beginnt, die eigenen Abläufe und Strukturen zu hinterfragen, kann das Rennen gegen die Zeit schnell verlieren.

MM: Meinen Sie, es wird als Folge dieser Misswirtschaft auf eine digitale Zweiklassengesellschaft hinauslaufen?
DI Scharf: Ich würde es noch härter formulieren und sagen: Manche Firmen werden diese Krise nicht überleben. Dieser Realität müssen wir ins Auge sehen. Deswegen habe ich es in meinem Vortrag so klar formuliert.

MM: Es stellt sich demnach aber auch die Frage, welches die digitalen Tools sind, die für ein Überleben entscheidend sind. Gehört die Cloud dazu?
DI Scharf: Die Cloud ist eine absolut notwendige Technologie für den effizienten Datenaustausch, aber noch keine Strategie für die Prozessoptimierung. Heutzutage hat kein Unternehmen mehr die komplette Wertschöpfung in den eigenen Händen. Die Cloud ermöglicht allen Partnern der Wertschöpfungskette den Austausch und die gemeinsame Nutzung durchgängiger Daten. Das ist eine Grundvoraussetzung. Der volle Nutzen entfaltet sich aber erst, wenn auch die Prozesse und Use Cases vor Ort und im Zusammenspiel durchdacht sind. Zudem muss trotz Austausch die Kontrolle über die Daten gewährleistet bleiben. In den Daten liegt das Know-how der Unternehmen. Sie wollen aus guten Gründen im Griff behalten, wer welche Daten zu welchem Zweck wie lange nutzen darf.

Diese Fragen treiben gerade die gesamte Industrie um. Es betrifft uns selbst als produzierendes Unternehmen, und wir schaffen Antworten für unsere Kunden – auch im Verbund mit unseren Schwesterfirmen in der Friedhelm Loh Group. Klar ist: Die Lösungen müssen schnell einsetzbar sein, zu den Prozessen der Unternehmen passen und dürfen nicht durch Datensouveränitäts-Bedenken gebremst werden.

MM: Eine Zwickmühle?
DI Scharf: Vor allem ist es keine Entweder-oder-Entscheidung, sondern eine Frage der richtigen Abstufung und passenden Anwendung. Nicht alle Daten sind kritisch. Außerdem ist es häufig auch aus weiteren Gründen sinnvoll, möglichst viele Daten direkt am Ort ihrer Entstehung zu verarbeiten, also mit dezentralen Edge-Rechenzentren z.B. direkt auf dem Shopfloor. Das sorgt beispielsweise für kurze Latenzzeiten, damit schnell laufende Prozesse der Fertigung völlig verzögerungsfrei gesteuert werden können. Zudem hat es Sicherheitsvorteile, wenn nur die Daten in eine (Multi-) Cloud-Struktur gehen, die auch dort verarbeitet oder mit hohem zukünftigem Nutzen geteilt werden sollen. Damit die gesamte Infrastruktur die Anforderungen nach Datensouveränität erfüllt, braucht es Standards für den Austausch und die Technologie. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf. Das ist für die Friedhelm Loh Group und unsere Schwestergesellschaft German Edge Cloud ein Anlass, als Mitbegründer die Initiative Gaia-X weiter voranzutreiben. Die Industrie benötigt eine souveräne europäische Dateninfrastruktur für ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.

MM: Wir haben bislang vor allem über Daten und Prozesse gesprochen. Der Wandel funktioniert aber nicht ohne die richtigen Mitarbeiter. In Zeiten des Fachkräftemangels muss man als Unternehmen diese auch erst einmal bekommen bzw. halten. Stimmen Sie dem zu?
DI Scharf: Das stimmt. Die Ansprüche an den Mitarbeiter, aber auch die Ansprüche der Mitarbeiter an die Unternehmen, haben sich in den vergangenen Jahren stark geändert. Es ist Aufgabe der Unternehmen, die Mitarbeiter aller Altersstufen für die neuen Anforderungen zu begeistern, sie weiterzubilden und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Diese Aufgabe haben wir mit der eigenen Loh Academy und vielfältigen Kooperationen wie beispielsweise dualen Studienmöglichkeiten angenommen.

MM: Das bedeutet zusammengefasst: Der Mitarbeiter, seine Ausbildung und die Digitalisierung in all ihren Facetten sind heutzutage entscheidend über den Erfolg bzw. das Dasein eines Unternehmens geworden. Stimmen Sie dem zu?
DI Scharf: Dem stimme ich zu. Digitalisierung gelingt nur, wenn auch die Mitarbeiter die Chance erkennen und sie mit vorantreiben. Und: Sie ist kein Selbstzweck, sondern soll handfeste, kurz- und langfristige Verbesserungen erzielen. Dazu müssen Sie die Prozesse verstehen, im eigenen Unternehmen und, fast noch wichtiger, im Geschäft der Kunden. Dazu reicht IT-Expertise allein nicht aus. Es kommt darauf an, die Prozess- und Technologie-Erfahrungen der langjährigen Mitarbeiter für die Digitalisierung nutzbar zu machen. Das bedeutet zum Beispiel für fertigende Unternehmen, dass Sie auch auf menschlicher Ebene die durchaus verschiedenen Welten aus Anlagenbau und industrieller Automatisierung mit der IT-Welt zusammenbringen müssen. Das hat sich in unserem eigenen Werk in Haiger als Problemlöser erwiesen und stößt in Form des Zusammenspiels von Rittal, Eplan und German Edge Cloud auch bei Gesprächen mit unseren Konzernkunden auf großes Interesse.

MM: Und nun kommt auch noch das Thema Nachhaltigkeit auf die To-do-Liste dazu.
DI Scharf: Ich würde sogar sagen: Es kommt nicht als zusätzlicher Punkt auf die Liste, sondern betrifft nahezu alle Handlungsfelder. Insbesondere beim Klimaschutz gibt es keine Zeit zu verlieren. Nicht nur bei den technologischen Komponenten komm es dabei auf Standardisierung an. Wir müssen durch einheitliche Standards bürokratischen Aufwand bei der Dokumentation und im Vertragsmanagement abbauen. Das wird am besten gelingen, wenn sich die Politik mit der Industrie und die Unternehmen untereinander austauschen. Je genauer die Politik die Auswirkungen auf die Unternehmen versteht und je pragmatischer sich die Unternehmen untereinander auf Datenstandards einigen, desto schneller erreichen wir Meilensteine wie die lückenlose Erfassung und Dokumentation von CO2-Footprints entlang der gesamtem industriellen Lieferkette.

MM: Ist Rittal am richtigen Weg?
DI Scharf: Wir sind auf dem Weg und erhöhen gerade aus gutem Grund die Schrittzahl, auch wenn das Kondition erfordert. Das betrifft erstens das Wirtschaften und Produzieren in unserer eigenen Unternehmensgruppe, zweitens die Lösungen, mit denen wir unsere Kunden beim Erreichen ihrer Klimaziele unterstützen und drittens unsere Mitarbeit in Gremien, Initiativen und Verbänden, um die genannte übergreifende Standardisierung mit voranzutreiben.

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