Im Gespräch IoT4 Industry & Business

„Nichts zwingt so zur Veränderung wie eine Krise“

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Drohnen spielen bei den Lösungen von Scandit eine wichtige Rolle. Sie sind besonders gut für Inventuraufgaben geeignet, etwa in Hochregallagern erreichen sie viele Bereiche schneller und einfacher.

Die Krise als Chance nutzen? Auch vor der Covid-19-Pandemie galten Startups bereits als wichtiges Element im Wirtschaftssystem. Ihre Inspirationen sind oft unschlagbar, große Unternehmen sind darauf angewiesen. Im Interview mit Christian Floerkemeier, CTO, Vice President Products und Mitgründer bei Scandit geht es um eine Idee, die nicht erst jetzt immer mehr an Bedeutung gewinnt.

von Stephanie Englert

IoT4 Industry & Business: Barcodes, AR und vieles mehr sind inzwischen Bestandteile des Handels. Welche Zielgruppe erreichen diese Techniken und was bieten Sie an?

Christian Floerkemeier CTO, Vice President Products und Mitgründer bei Scandit: "Wir sehen uns auf jeden Fall als globaler Innovationstreiber."
Christian Floerkemeier, CTO, Vice President Products und Mitgründer bei Scandit: „Wir sehen uns auf jeden Fall als globaler Innovationstreiber.“

Christian Floerkemeier: Mit unserem Angebot im Einzelhandel richten wir uns sowohl an Kunden als auch an Mitarbeiter. Mit der Scanning-Lösung und einer App können Mitarbeiter zahlreiche Aufgaben leichter und schneller umsetzen. Das reicht von der Lagerverwaltung über die Zusammenstellung von Bestellungen bis hin zu der Arbeit auf der Verkaufsfläche. Außerdem können sie auch einen verbesserten Kundenservice anbieten.

Welche Vorteile bietet das Angebot?

Floerkemeier: Kunden, unsere zweite Zielgruppe, wollen die Vorteile des E-Commerce auch im Laden nutzen. Per Barcode-Scanning können sie in der Kunden-App Informationen zu Produkten und Bewertungen abrufen. Sie erhalten zudem Rabattcoupons oder personalisierte Angebote für bestimmte Artikel. Gerade durch die Corona-Pandemie sehen wir auch eine hohe Nachfrage nach Scan-and-Go-Lösungen. Wir erwarten, dass dieser Trend auch nach der Pandemie weiter anhalten wird.

Welche Technik steckt dahinter?

Floerkemeier: Unsere Software verwandelt mit einer Kamera ausgestattete Smartphones, Tablets oder Wearables in leistungsstarke Barcode-Scanner. Neben klassischem Barcode-Scanning bietet die Lösung auch die Möglichkeit, Texte und Objekte zu erfassen und Echtzeitinformation mittels Augmented-Reality (AR)-Overlays anzuzeigen.

Unternehmen, die etwa über keine nativen Apps verfügen, können den Scanner mit dem SDK for the Web zu Websites und Web-Apps hinzufügen. Eine Besonderheit des Produktportfolios ist MatrixScan. Kunden und Mitarbeiter können so mit einem einzigen Scan mehrere Barcodes auf einmal erfassen. Durch das visuelle Feedback wird angezeigt, welche Barcodes gescannt wurden. Einzelhändler, die auf Scandit setzen, sind unter anderem Metro, dm, Valora, Coop oder Globus.

Sie sind 2009 mit Ihrer Idee gestartet. Würden Sie heute Ihre Entscheidung zur Firmengründung noch genauso fällen?

Floerkemeier: Auf jeden Fall. Wir würden die Entscheidung auch heute noch genauso treffen wie 2009. In unserem Fall hat die Pandemie sogar die Bedeutung und den Bedarf an den von uns angebotenen Technologien weiter verstärkt. Unternehmen sehen dadurch immer mehr die Notwendigkeit, ihre Prozesse und Abläufe zu überdenken und anzupassen.

Und seit wann ist Scandit kein Startup mehr?

Floerkemeier: Scandit ist kein Startup mehr, sondern ein Scaleup. In unseren Fokus-Branchen hat sich Scandit als marktfähig erwiesen. Das zeigt sich auch durch die große Anzahl an Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, und unser breites Partner-Ökosystem.

Als Startups werden vor allem Unternehmen bezeichnet, wenn sie eine geringe Anzahl an Mitarbeitern und Kunden sowie eher geringere Seed-Finanzierungen erhalten haben. Scandit hat mittlerweile zahlreiche Großunternehmen als Kunden und hat sich im Mai letzten Jahres seine Serie-C-Finanzierung gesichert, wodurch sich die Gesamtsumme auf über 120 Millionen USD erhöhte. Das zeigt den Rückhalt der Investoren, die Marktdynamik und die Marktreife des Unternehmens.

Durch die Pandemie sehen Kunden verstärkt die Notwendigkeit einer schnellen digitalen Transformation.
Durch die Pandemie sehen Kunden verstärkt die Notwendigkeit einer schnellen digitalen Transformation.

Zurück zu Ihrem Angebot: Was wird sich oder hat sich durch die Covid-19-Pandemie bei Ihrem Produkt geändert?

Floerkemeier: Durch die Pandemie sehen unsere Kunden verstärkt die Notwendigkeit einer schnellen digitalen Transformation. Einher geht damit die Verschmelzung von physisch und digital. Gerade im Einzelhandel und bei Zustellunternehmen erkennen wir ein erhöhtes Interesse an mobiler Computer Vision. Unternehmen können damit schneller skalieren und so die steigende Nachfrage nach Click & Collect und die Millionen zusätzlichen Lieferungen nach Hause adressieren.

Hier spielen BYOD (Bring your Own Device)- und COPE (Corporate owned, personally enabled)-Strategien eine wichtige Rolle: Unternehmen stellen ihren Mitarbeitern Scanning-Apps auf privaten und geschäftlichen Geräten zur Verfügung. Zudem können sie im Bedarfsfall innerhalb kurzer Zeit neue Mitarbeiter oder Aushilfskräfte onboarden.

Welche Trends sind derzeit am Markt spürbar?

Floerkemeier: Gestiegen ist der Wunsch nach kontaktlosem Einkaufen. Wir sehen Scan-and-Go-Lösungen nach wie vor auf dem Vormarsch. Kunden kommen so nicht mehr in direkten Kontakt mit den Mitarbeitern und umgekehrt. Gerade auch für kleine Einzelhändler ist Scan & Go ein Schritt zur Digitalisierung. Sie benötigen nur eine App oder Web-App mit unserer Barcode-Scanning-Lösung. Hierfür sind keine hohen Investitionssummen in Kameras oder Sensoren notwendig. Auch nach der Corona-Pandemie werden viele Branchen weiterhin auf kontaktlose Lösungen setzen. Kaufgewohnheiten und Kundenerwartungen haben sich verändert. Durch die Verlagerung zum E-Commerce hin haben die Verbraucher ein gewisses Maß an Komfort zu schätzen gelernt und wollen dies auch im stationären Handel nicht mehr missen.

Welche Märkte sind noch zu erschließen?

Floerkemeier: Neben dem bereits erwähnten Einzelhandel und der Logistik wollen wir auch im Bereich Healthcare, Produktion, Field Services, aber auch im Flugverkehr unser Wachstum weiter vorantreiben. Besonders der Healthcare-Bereich spielt für uns eine wichtige Rolle.

In Krankenhäusern ermöglicht eine Scanning-Lösung etwa eine zuverlässige Patientenidentifizierung.
In Krankenhäusern ermöglicht eine Scanning-Lösung etwa eine zuverlässige Patientenidentifizierung.

Inwiefern kann Ihre Lösung dort punkten?

Floerkemeier: In Krankenhäusern ermöglicht eine Scanning-Lösung etwa eine zuverlässige Patientenidentifizierung: Durch den Barcode auf dem Patientenarmband können Ärzte und Pflegepersonal Patientendaten abrufen, Testergebnisse einsehen und die Medikation überprüfen. Zudem können auch medizinische Geräte getrackt werden. Krankenhäuser können so nachvollziehen, wann und wo die Geräte eingesetzt werden und wann sie gewartet werden müssen. Das hilft ihnen bei der Planung des Ressourceneinsatzes und von möglichen Neuanschaffungen. Durch die Pandemie sehen Kunden verstärkt die Notwendigkeit einer schnellen digitalen Transformation.

Jetzt spielt seit geraumer Zeit auch das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle, Ressourcen sowie Energie sollen gezielter eingesetzt werden. Software ist im weitesten Sinne nun auch immer mit Energieverbrauch in Verbindung zu bringen. Provokant gefragt: Ist Scandit mit seinem Portfolio zeitgemäß?

Floerkemeier: Das kann ich auf jeden Fall mit Ja beantworten. Die Technologie von Scandit ermöglicht Unternehmen, nachhaltigere Praktiken umzusetzen. Zum Beispiel stehen Zustellunternehmen auf der letzten Meile unter zunehmendem Druck, ihren CO2-Fußabdruck pro Paket zu reduzieren. Mit dem enormen Anstieg des E-Commerce und der Online-Lieferungen aufgrund der Pandemie ist der Druck gestiegen, Nachhaltigkeits-KPIs festzulegen – und sie auch zu erfüllen. Das wirkt sich auch auf die Markenpräferenz sowie den Unternehmensruf aus und kann sogar als Wettbewerbsvorteil dienen.

Scandit unterstützt PUDO (Pick-up, Drop-off)-Abläufe, mit denen Zustellunternehmen den CO2-Fußabdruck von Paketen reduzieren können, indem sie Abholpunkte zusammenlegen und ineffiziente Einzellieferungen reduzieren. Darüber hinaus können Branchen wie der Einzelhandel und Zustellunternehmen mit der Scandit-Technologie auf Smartphones BYOD-Betriebsmodelle einführen. Dadurch reduziert sich die Anzahl der benötigten Geräte pro Mitarbeiter. Das führt zu einem geringeren Stromverbrauch, weniger Elektroschrott und weniger zu entsorgenden Geräten.

Die Scandit-Technologie läuft auf mehr als 20.000 Smartphone-Modellen, und es besteht eine hohe Kompatibilität mit älteren und Mittelklasse-Geräten. Daher müssen Unternehmen nicht immer in die neueste Hardware investieren und können vorhandene Geräte längerfristig nutzen. Schließlich ermöglicht unsere Technologie Unternehmen, viele ihrer Prozesse und Abläufe zu automatisieren und zu digitalisieren, was zu einer deutlichen Reduzierung des Papierverbrauchs und mehr Nachhaltigkeit führt.

Spielen Drohnen eine Rolle bei Ihrem Geschäftsmodell?

Floerkemeier: Drohnen spielen bei unseren Lösungen eine wichtige Rolle. Sie sind besonders gut für Inventuraufgaben geeignet, etwa in Hochregallagern erreichen sie viele Bereiche schneller und einfacher. Sie können die Barcodes mit der Kamera leicht erfassen und die Information an die Mitarbeiter schicken. Mittlerweile sind auch Spezialdrohnen im Einsatz, die eine vorgegebene Route abarbeiten.

Abschließend würde ich gerne wissen, ob Sie sich als Innovationstreiber am globalen Markt sehen würden?

Floerkemeier: Wir sehen uns auf jeden Fall als globaler Innovationstreiber. Mit unserer Technologie verändern wir die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Prozesse und Abläufe automatisieren können. Durch Innovationen auf Basis mobiler Computer Vision unterstützen wir auch Branchen, wie den Einzelhandel beispielsweise, traditionelle Handheld-Scanner durch handelsübliche Mobile Devices zu ersetzen und die Verschmelzung von Online- und stationären Handel weiter voranzutreiben.

 

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