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Lasst die Cobots ran!

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„Der Web zur Industrie 4.0 ist noch ein langer, auch wenn schon von Industrie 5.0 die Rede ist – stehen wir hier realistisch gesehen noch am Anfang.“ - DI (FH) Raimund Temmel, Leitung Robotic bei TAT-Technom-Antriebstechnik GmbH in Leonding

DI (FH) Raimund Temmel hat die Leitung Robotic bei TAT-Technom-Antriebstechnik GmbH in Leonding inne und verzeichnet derzeit einen wahren Nachfrageboom seiner Produkte. Endlich sei ein wichtiger Schritt zur weiteren Automatisierung gesetzt worden in den Betrieben, dennoch müsse man an der Akzeptanz der neuen Cobot-Kollegen noch etwas arbeiten, meint er im Interview mit Stephanie Englert.

MM: Herr Temmel, zunächst einmal die Frage: Was macht einen Cobot smart? Ist es seine Ausstattung oder eher seine leichte Handhabung?

DI (FH) Raimund Temmel: Die Kombination macht es aus. Nicht nur die intelligente Ausstattung – wie z.B. bei unseren TM-Robotern das integrierte Onboard-Kamerasystem – oder die besonders einfache Bedienung machen Cobots smart, sondern auch die vielfältigen Einsatzgebiete. Dabei finde ich besonders die Unterstützung von Leichtbaurobotern in der Produktion und deren Übernahme von gefährlichen, schweren, monotonen oder schmutzbelasteten Tätigkeiten erwähnenswert. So bleibt allen Mitarbeitern mehr Zeit für sinnvollere und intelligente Aufgaben. Wenn das nicht smart ist…

MM: Auf dem Weg zu Industrie 4.0 spielen auch Roboter eine wesentliche Rolle. Welchen Mehrwert bieten diese und was raten Sie Skeptikern hinsichtlich der Frage, dass auf Mitarbeiter künftig verzichtet werden könne? Ist hier Kritik gerechtfertigt?

Temmel: Natürlich sind Cobots aktuell im Trend und werden in Zukunft gewiss die Produktion und den Arbeitsmarkt verändern. Kein Wunder, dass bei diesem Thema viele skeptisch sind. Aber wie schon erwähnt, werden Mitarbeiter nicht von kollaborierenden Robotern verdrängt, sondern – wie die Bezeichnung schon sagt – arbeiten Cobots mit Menschen zusammen, damit diese wiederum an Stellen eingesetzt werden können, bei denen es unabdingbar ist. Eine Automatisierung ist dennoch ein ständiger Prozess. Deshalb werden auch weiterhin Fachkräfte benötigt, die sich um die Roboter und ihre Peripherie kümmern. In Zukunft werden in diesem Bereich noch viele neue Jobs für die nächste Techniker-Generation entstehen. Weiters werden mit einer gutdurchdachten Automatisierungslösung und einer engen Mensch-Roboter-Zusammenarbeit die Prozesssicherheit und -effizienz erhöht und Produktionskosten gesenkt. Gerade Klein- und Mittelunternehmen können von diesem Mehrwert stark profitieren, weil das Investitionsrisiko bei Cobots sehr gering ist und die Automatisierung „Schritt für Schritt“ erfolgen kann.

MM: Das bedeutet konkret?

Temmel: Um zu wachsen und fit für die Zukunft zu sein sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich zu erhalten, sind Automatisierung und Schritte in Richtung Industrie 4.0 zu setzen, unabdingbar. Nicht zu automatisieren wäre meiner Meinung nach unverantwortlich.

MM: Wie wird das Vertrauen in Cobots/Roboter aus Ihrer Sicht am besten aufgebaut und welche Rolle spielt das Thema Safety?

Temmel: Cobots sind grundsätzlich sehr einfach zu bedienen und in Betrieb zu nehmen, dennoch besteht oft ein Widerwillen mit dem smarten „Kollegen“ zusammenzuarbeiten. Unwissenheit spielt meist eine nicht unwesentliche Rolle. Um diese Wissenslücke zu füllen und die Scheu abzubauen bieten wir die Möglichkeit unsere Roboter „kennenzulernen“ – quasi ein Speed Date – an. Dazu fahren wir auch mit einem unserer Roboterarme zu Interessenten, bauen vor Ort eine kleine Teststation auf und geben eine Einführung – danach können zukünftige User den Roboter selbst bedienen und testen. Weitere Möglichkeiten Vertrauen in das Gerät zu schaffen, sind zum Beispiel eine Simulation – inklusive der gesamten Peripherie – der gewünschten Anwendung oder mit Best Practice-Beispielen aufzuzeigen, was alles umsetzbar ist. Natürlich ist – gerade bei kollaborativen Anwendungen – das Thema Sicherheit besonders wichtig. Aber auch hier können Tests, Aufklärung und integrierte Sicherheitsfunktionen Bedenken ausräumen. Und falls keine kollaborative Anwendung möglich ist – dann bieten wir unseren Kunden auch passende Schutzsysteme an.

MM: Sie betreiben ein eigenes Entwicklungslabor. Ist dies eine Möglichkeit Vertrauen in Roboter zu stärken?

Temmel: Ja, definitiv. Das Angebot, unseren Roboter im Labor in „Action“ zu sehen, wird von unseren Kunden gut angenommen. Es wurden schon oft positive Vorentscheidungen direkt bei einem Besuch bei uns im Haus getroffen. Besonders schätzen unsere Kunden, dass durch 3D-Simulationen und einen Testaufbau im Labor, bei der die Gegebenheiten der gewünschten Anwendung nachgeahmt werden, bereits zentrale Fragen des Automatisierungsprozesses evaluiert werden können. So kann die Inbetriebnahme-Zeit vor Ort drastisch minimiert und das Vertrauen in die angebotene Robotik-Lösung gestärkt werden.

MM: Und wie weit sind aus Ihrer Sicht Unternehmen auf dem Weg zur optimalen Automatisierung?

Temmel: Es ist grundsätzlich in allen Branchen ein Aufwind zu spüren. Allerdings merken wir, dass vor allem im Spritzguss-Bereich, bei Handlingaufgaben bzw. Palettieren von Teilen, immer öfter Roboter zum Einsatz kommen. Auch zunehmend mehr KMU denken darüber nach, ihre Prozesse mit Cobots zu automatisieren, um zukunftsfähig zu bleiben. Ein Grund für das steigende Interesse könnte die wachsende Akzeptanz und der rasche Return on Investment der kosteneffizienten Roboter sein. Dennoch ist der Weg zur Industrie 4.0 noch ein langer. Auch wenn schon von Industrie 5.0 die Rede ist – stehen wir hier realistisch gesehen noch am Anfang. Potenzial gibt es in Österreich für die Automatisierungsbranche auf jeden Fall noch reichlich.

MM: Die Corona-Pandemie hat einen zunehmenden Einsatz von Automatisierungslösungen/Roboterlösungen gebracht. Können Sie dies bestätigen?

Temmel: Ja, das stimmt. Das Interesse an Automatisierungslösungen ist vergangenes Jahr gestiegen. Vielen Unternehmern ist durch die Pandemie, Lockdowns und Kurzarbeit die Abhängigkeit von Mitarbeitern in der Produktion bewusster geworden. In der Fertigung können solche Ausfälle mit Cobots ideal überbrückt werden, denn diese können nun mal weder krank werden noch kündigen. Oder es stört sie nicht, wenn sie Tag für Tag monotone Arbeiten erledigen. Weiters haben diverse Förderungen und Prämien viele Unternehmer dazu motiviert, ihre Prozesse zu evaluieren und sich nach passenden Lösungen umzusehen. Auch wir sind – wie viele andere Unternehmen – im vergangenen Jahr durch Kurzarbeit, Homeoffice usw. in unserer Entwicklung ausgebremst worden. Viele unserer Kunden haben aufgrund der unsicheren Zeiten ihre Budgets zurückgehalten. Dennoch sind wir drangeblieben und können in diesem Jahr die „Früchte“ unserer Bemühungen aus 2020 ernten. Es sind viele interessante Projekte bei uns in der Pipeline, auf deren Umsetzung wir uns schon sehr freuen.

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