Im Gespräch MM Maschinenmarkt

Interview | Willkommen Realität

zur Übersicht
„KI ist kein Trend-Thema mehr.“ - Holger Meyer, Director Control Systems im Industry Management and Automation Phoenix Contact

Holger Meyer ist Director Control Systems im Industry Management and Automation bei Phoenix Contact. Im Interview mit dem MaschinenMarkt Österreich sprach er unter anderem über die sinnhafte Nutzung von Künstlicher Intelligenz und dem Irrglauben, es sei ein „Trendthema“.

Von Stephanie Englert

MM: Künstliche Intelligenz wird fälschlicherweise oft als „Trendthema“ bezeichnet. Was antworten Sie?

Holger Meyer: Die Themen AI oder KI sind aus unserem Alltag mittlerweile sehr gut bekannt und werden nicht mehr als Science Fiction angesehen. Bereits seit mehr als sechs Jahrzehnten wird daran geforscht. Durch die stetig wachsende Rechenleistung und die Digitalisierung (vernetzte Maschinen) ist es jetzt allerdings möglich, Neuronale Netze in Echtzeit zu bedienen, anstatt regelbasierte Systeme. Auch das Trainieren der Neuronalen Netze lässt sich mit entsprechender Rechenleistung einfach durchführen, damit die KI dazulernen kann. Dass KI kein Trendthema mehr darstellt, kann man ebenfalls an der Gartner-Kurve erkennen. Nach dem Hype kam die Ernüchterungsphase und schon seit ein paar Jahren gibt es reale KI-Produkte. Das Thema ist im Alltag angekommen und wird ein fester Bestandteil in unserer Gesellschaft sein. Wir stehen hier noch am Anfang und die KI wird immer mehr in weitere Bereiche integriert nicht nur im Hinblick auf autonomes Fahren, Sprachassistenten oder Qualitätsthemen in der Produktion.

MM: Wo genau ist der Einsatz von KI in Produktionsprozessen sinnvoll?

Meyer: KI kann in der Produktion vielfältig eingesetzt werden, um eine bessere Produktqualität (und dadurch auch weniger Ausfälle) sowie eine höhere Quantität (bessere Auslastung der Maschinen) zu erreichen. Gerade beim Thema Qualitätssicherung, etwa zur optischen Überprüfung der gefertigten Teile oder zur Unterstützung monotoner optischer Prüfungen, wird KI schon länger verwendet. Der wirtschaftliche Nutzen ist dadurch schnell erkennbar und führt zu kürzeren Markteinführungszeiten.

Weitere Anwendungsfelder im Produktionsumfeld sind:

  • Predictive Maintenance: KI-basierte vorausschauende Wartung zur Reduzierung ungewollter Stillstandzeiten und Verlängerung der Lebenszyklen betrieblicher Anlagen
  • Process Monitoring & Operational Excellence: datengestützte Überwachung und Optimierung der Produktions- und Geschäftsprozesse mittels digitaler Zwillinge
  • Product Inspection & Quality Control: KI-Lösungen zur Automatisierung der Qualitätssteuerung und -prüfung
  • Autonomous Factory & Process Automation: KI-basierte Automatisierungslösungen und Roboter innerhalb und außerhalb der Fabrik
  • Generative Design & Product Simulation: KI-unterstützte Erstellung technischer Entwürfe oder Simulationen von Fertigungs- und Einsatzumgebungen
  • Supply Chain Intelligence and Demand Forecasting: Optimierung der Lieferketten und Prognose der Produktnachfrage durch KI

MM: Welche Rolle spielt die „Cloud“ im KI-Umfeld?

Meyer: Innerhalb der Cloud kann KI sehr gut umgesetzt werden bzw. ist bei komplexen und rechenintensiven Modellen der beste Weg, denn in der Cloud lässt sich eine Skalierbarkeit der Rechenleistung gut realisieren. Allerdings hängt die Machbarkeit einer KI-Cloud-Variante von der Netzwerkinfrastruktur ab. Denn wenn die Echtzeitanforderungen für meine Anlage vor Ort über die Cloud nicht umsetzbar sind, bringt mir auch die schnellste Berechnung innerhalb der Cloud nichts. Hier können dann stationäre Systeme ihre Stärken ausspielen, da sie direkt vor Ort einsetzbar sind.

MM: Das bedeutet?

Meyer: Idealerweise lassen sich beide Systeme miteinander kombinieren. Beispielsweise könnte vor Ort in einer autonomen Einheit das KI-Modell abgearbeitet werden, und nur wenn ich es weiter trainieren lassen möchte, benötige ich einen Zugriff auf die Cloud. Nach erfolgter Neuberechnung kann das Modell wieder auf das lokale Gerät aufgespielt werden. Dadurch wird der Anforderung nach kleinen Latenzen bzw. Antwortzeiten besser Rechnung getragen. Trotzdem kann die KI lediglich ihre vollen Stärken einbringen, sofern immer größer werdende Datenmengen in der Cloud berechnet werden. Stationäre Systeme stoßen hier irgendwann an ihre Grenzen. Somit ist es zwingend notwendig, dass für eine schnelle Infrastruktur gesorgt wird (Ausbau Breitband, beispielsweise 5G).

MM: Yaskawa und Phoenix Contact haben vor einiger Zeit eine Partnerschaft abgeschlossen mit dem Ziel, die PLCnext Technology von Phoenix Contact bei der Entwicklung von Maschinensteuerungs- und Steuerungsplattformen der nächsten Generation zu nutzen. Was genau passiert zum jetzigen Zeitpunkt bzw. was sind diesbezüglich die Ziele für 2021?

Meyer: Gemeinsames Ziel von Yaskawa und Phoenix Contact ist es, den Wandel von proprietären Lösungen hin zu einem offenen und zukunftssicheren Ökosystem für die industrielle Automatisierung voranzutreiben. Mit Yaskawa setzt ein führendes Unternehmen der Branche auf PLCnext Technology. In diesem Zuge lizensiert Phoenix Contact seine PLCnext-Laufzeitumgebung an Yaskawa und vereinbart die gemeinsame Weiterentwicklung. Yaskawa sieht in PLCnext Technology die offenste unter den heute verfügbaren Automatisierungsplattformen, die eine Programmierung nach IEC 61131–3, moderne Programmiersprachen, Safety-Hardware und -Software sowie die Sicherheit industrieller Steuerungssysteme kombiniert. Yaskawa wird PLCnext Technology dazu nutzen, das Angebot an Maschinensteuerungen weiter auszubauen und fortzuentwickeln. Das Unternehmen plant den Einsatz des PLCnext Runtime-Systems in den Bereichen Motion Controls und Robotics, zunächst in Europa und den USA.

MM: Vielen Dank!

>>> zum ePaper

Verwandte Artikel