Im Gespräch MM Maschinenmarkt

Interview | Der Beginn einer neuen Ära

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Alexander Mayrböck, General Manager Sales Region Austria bei B&R

Alexander Mayrböck, General Manager Sales Region Austria bei B&R, sieht in einem Interview mit dem MaschinenMarkt Österreich, dass die adaptive Fertigung zwar nicht für jeden Anwendungsfall die richtige Lösung ist, aber je individueller Unternehmen fertigen und sich den Herausforderungen der Zeit anpassen, desto gewinnbringender kann eine adaptive Lösung sein.

Von Stephanie Englert

MM: Herr Mayrböck, adaptive Fertigung scheint die Lösung für etliche große Herausforderungen in der Fertigungsindustrie zu sein. Dennoch stellt sich die Frage: Ist adaptive Fertigung tatsächlich in jedem Fall die richtige Wahl?

Alexander Mayrböck: Nein, nicht unbedingt. Bei der klassischen Massenproduktion bringen adaptive Fertigungslösungen keinen wirklichen Vorteil. Werden aber zahlreiche unterschiedliche Produkte auf der gleichen Linie verarbeitet, lohnt es sich definitiv, in eine adaptive Lösung zu investieren. So eine Lösung ermöglicht sofortige Formatwechsel und benötigt kein speziell geschultes Personal für aufwändige Umrüstungen. Es gibt aber auch Anwendungsfälle, bei denen adaptive Lösungen nicht nur vorteilhaft, sondern aus meiner Sicht sogar unverzichtbar sind.

MM: Zum Beispiel?

Mayrböck: Etwa für Hersteller, deren Kunden Artikel auf ECommerce- Plattformen personalisieren. Darüber hinaus sind adaptive Lösungen essenziell, um auf Trends zu reagieren und besonders nachgefragte Produkte möglichst schnell auf den Markt zu bringen. In diesen Fällen kann es sogar notwendig sein, unterschiedliche Produkte gleichzeitig auf derselben Linie herzustellen. Dafür ist die adaptive Fertigung die richtige Wahl.

MM: Intelligente Track-Systeme wie SuperTrak oder ACOPOStrak sind ein erprobter Weg, um Maschinen flexibler zu gestalten. Nun hat B&R ACOPOS 6D auf den Markt gebracht. Welche zusätzlichen Vorteile bringt die neue Technologie für die adaptive Fertigung?

Mayrböck: Adaptive Fertigungslösungen entstehen aus einem Zusammenspiel neuester Technologien. Dazu zählen neben adaptiven Produkttransportsystemen wie ACOPOS 6D auch die Simulation mit digitalen Zwillingen, Machine Vision und Robotik. Mit ACOPOS 6D hat B&R eine Technologie entwickelt, die einen großen Fortschritt in der adaptiven Fertigung ermöglichen wird. Vor allem in zwei Bereichen ist ACOPOS 6D die perfekte Lösung, um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen.

Zum einen eröffnet ACOPOS 6D als Ergänzung zu den bestehenden Track-Systemen neue Möglichkeiten für den adaptiven Produkttransport in speziellen Umgebungen. Da ACOPOS 6D keine Reibung verursacht, entstehen auch kein Verschleiß und keine Verunreinigung. Die Technologie ist daher ideal für Anwendungen in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Zudem kann die Stellfläche entscheidend reduziert werden. Das ist zum Beispiel sehr wichtig für die Produktion in Reinräumen.

MM: Und weiters?

Mayrböck: Zum anderen ergibt sich ein wesentlicher Vorteil aus den sechs Freiheitsgraden, mit denen sich die Shuttles von ACOPOS 6D bewegen. Sie können Aufgaben an Bearbeitungsstationen übernehmen, die sonst komplexere Hardware erfordern würden. An einer Abfüllstation lässt sich so anstatt eines Scara-Roboters ein kartesischer Roboter einsetzen. Die benötigte Hardware und der Wartungsaufwand verringern sich und die Station wird flexibler und platzsparender. Darüber hinaus sind die Shuttles in der Lage, Produkte bereits während des Transports zu drehen oder zu wiegen. Separate Stationen sind nicht mehr erforderlich.

ACOPOS 6D inspiriert zu einem völlig neuen Denken darüber, wie Produkte gefertigt werden. Waren es bisher einzelne Bearbeitungsschritte, die durch Track-Technologien anpassungsfähiger wurden, ist es bei ACOPOS 6D die Abfolge der Schritte, die adaptiv ist. Die Produktionslinie wird zu einem offenen Raum, in dem sich Shuttles wie ein Schwarm fahrerloser Transportfahrzeuge zu Punkten in einer Matrix hinbewegen. Das ist die Geburtsstunde der Schwarmproduktion.

MM: Was verstehen Sie unter dem Begriff Schwarmproduktion?

Mayrböck: Seit die Diskussion um Industrie 4.0 und das Industrial Internet of Things an Fahrt aufgenommen hat, wird immer wieder davon gesprochen, dass sich das Produkt den Weg durch die Produktion selbst suchen soll. Häufig wurde das als Hirngespinst abgetan, aber nun haben wir tatsächlich die Technologie, diese Vision der Schwarmproduktion in die Tat umzusetzen. Es gibt keinen vorprogrammierten Produktionsablauf mehr, sondern jedes Produkt fährt individuell zu den  Bearbeitungsstationen, die es benötigt. Das erleichtert die Produktion in sehr kleinen Losgrößen. Mehrere, unterschiedliche Produkte können gleichzeitig auf derselben Maschine gefertigt werden. ACOPOS 6D ermöglicht die Umsetzung des Konzeptes der Schwarmproduktion in die Realität.

MM: Würden Sie zusammenfassend sagen, dass mit ACOPOS
6D auch ein neues Maschinenzeitalter angebrochen ist?

Mayrböck: Definitiv. Denn wir sprechen davon, den streng linearen Produktfluss aufzulösen und einen offenen Produktionsraum zu schaffen. Das ist nichts weniger als eine Revolution der Art und Weise, wie Produkte in Zukunft gefertigt, assembliert und verpackt werden.

MM: Weiters spielt die Robotik bei der adaptiven Maschine genau welche Rolle?

Mayrböck: Roboter bringen viel Flexibilität in die Maschinenhalle. Im Gegensatz zu einfachen mechanischen Komponenten lassen sich Roboter leicht an wechselnde Produkte anpassen: Die Bahnplanung kann innerhalb von Millisekunden adaptiert werden, wenn das Produkt größer oder schwerer wird. Auch die Greifer sind oft sehr flexibel oder lassen sich im Bedarfsfall mit wenigen Handgriffen tauschen. Durch dieses hohe Maß an Flexibilität sind Roboter ein wichtiger Bestandteil von adaptiven Fertigungskonzepten.

MM: Auch das Thema Künstliche Intelligenz gewinnt in der
Fertigung an Bedeutung. Inwiefern bei der adaptiven Maschine?

Mayrböck: KI ist zwar keine Grundvoraussetzung für eine adaptive Maschine, aber sie kann in vielerlei Hinsicht helfen. Sowohl auf der Ebene einzelner Komponenten – zum Beispiel bei der Optimierung von OCR-Algorithmen bei der industriellen Bildverarbeitung – als auch auf einer höheren Ebene – zum Beispiel bei selbstoptimierenden autonomen Produktionslinien. Ich erwarte, dass in den kommenden Jahren immer mehr KI-Algorithmen in der Produktion eingesetzt werden.

MM: Oder anders gefragt, inwieweit arbeitet B&R am Thema KI?

Mayrböck: Wir gehen das Thema von zwei Seiten an: Wo es uns sinnvoll erscheint, integrieren wir KI in unsere Produkte. Damit haben wir bei unserem Vision-System bereits begonnen. Unsere OCR-Funktion nutzt Algorithmen für maschinelles Lernen. Dadurch wird die Qualität von OCR-Anwendungen deutlich verbessert, zum Beispiel beim Lesen von Chargennummern und Mindesthaltbarkeitsdaten. Die zweite Herangehensweise stützt sich auf unsere offene Systemarchitektur. Es gibt nämlich bereits eine Menge großartiger KI-Lösungen auf dem Markt – hauptsächlich für die Analyse historischer Daten, aber auch zur Optimierung laufender Prozesse oder auch zur Optimierung von Anwendungen in der Entwicklung.

Wir haben unseren Kunden den Zugang zu solchen Werkzeugen ermöglicht, indem wir offene Standards wie OPC UA und MQTT in unser System integriert haben und Schnittstellen zu gängigen Tools für Simulation und digitale Zwillinge anbieten.
In den kommenden Jahren werden wir unser Angebot in diesem Bereich kontinuierlich ausbauen.

MM: Vielen Dank!

>> Kurz erläutert: ACOPOS 6D

>> Coverstory MM 4/2021 | Die Geburt der adaptiven Maschine

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