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Interview | Gedruckte Lösungen

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3D-Druck ist im Kommen und wird in zahlreichen Unternehmen zum Standard-Equipment gehören.

Der 3D-Druck ist inzwischen Thema in vielen Unternehmen und wird auch künftig immer stärker in den Fokus rücken. Die Protiq GmbH, als 100-prozentige Tochter der Phoenix Contact GmbH, ist auf diese Technik spezialisiert. In einem Interview geht Johannes Lohn, Head of Development and Engineering der Protiq GmbH auf dieses Fertigungsverfahren genauer ein.

Welche Vorteile bringt der 3D-Druck heute?

Johannes Lohn, Head of Development and Engineering bei Protiq GmbH
Johannes Lohn, Head of Development and Engineering bei Protiq GmbH

Johannes Lohn: Die Additive Fertigung bietet unzählige Vorteile. Leider bleiben die meisten Vorteile noch ungenutzt, da das Verfahren hauptsächlich zur Herstellung von Prototypen genutzt wird. Die Möglichkeiten der modernen additiven Fertigung gehen allerdings weit über das Rapid Prototyping hinaus.

So können z.B. durch die nahezu freie Gestaltgebung neue und bessere Lösungen konstruiert und gefertigt werden. Der limitierende Faktor ist hier nicht die Technik, sondern der Mensch.

Weshalb?

Lohn: Ein Konstrukteur, der über Jahre für die konventionellen Fertigungsverfahren konstruiert hat, ist meist noch nicht in der Lage frei und additiv zu denken. Funktionsintegration und belastungsgerechtes Design führen typischerweise zur erheblichen Gewichtsreduktion.

Im Bereich Werkzeugbau können Robotergreifer, Werkzeuge mit konturnaher Kühlung oder hochleitfähige Kupfer-Induktionsspulen direkt gedruckt werden. So sind auch Zykluszeitreduzierungen von 50 % durch diese neuen high-performance Werkzeuge typisch.

Neben dem Prototyping und dem sogenannten DirectTooling können heutzutage auch ganze Serien in größeren Stückzahlen direkt und werkzeuglos produziert werden. Besonders interessant ist dieses Direct Manufacturing für die Ersatzteilversorgung. Die Produktion von Endprodukten stellt dann natürlich besondere Anforderungen an Maschine und Material. Das Produkt definiert die erforderlichen Eigenschaften. Da kommen die typischen Materialien für die Prototypenherstellung oft an ihre Grenzen.

Welche Materialien lassen sich verarbeiten?

Lohn: Generell lassen sich Bauteile aus Kunststoffen, Metallen und auch Gläsern oder Keramiken additiv fertigen, aber dennoch ist die Materialpalette stark eingeschränkt. Die Sondermaterialien stellen ein Alleinstellungsmerkmal für uns dar, denn wir qualifizieren für unsere Kunden maßgeschneiderte Materialien nicht nur für das Prototyping sondern auch für die Serienfertigung.

Technische Thermoplaste und Standardkunststoffe wie Polyethylen oder Polypropylen, die sich additiv verarbeiten lassen und dann auch die industriell benötigten mechanischen Eigenschaften mitbringen, sind rar. Gleiches gilt im Metallbereich für die Verarbeitung hochfester Stähle oder Buntmetalle. Materialien und auch die Anlagentechnik dafür fehlen derzeit noch.

Entwickeln und forschen Sie auch intern nach neuen Möglichkeiten?

Lohn: Wir entwickeln teils eigene Lösungen, in denen unsere ganze Expertise einfließen kann. Seit 2013 drucken wir hochleitfähiges Kupfer, das lange als nicht verarbeitbar galt. 2018 haben wir einen Prozess entwickelt, mit dem sogar Zink in Serienqualität verarbeitet werden kann.

Besonders große Resonanz erfahren wir aus der Zink-Druckguss-Branche. Für die Zink-Druckgießer haben wir Zamak5, eine Legierung aus Zink, Aluminium und Magnesium, qualifiziert. Und was liegt dann näher, als das Materialportfolio „rund zu machen“ und Messing, als Legierung aus Kupfer und Zink, zu verarbeiten? Auch Messing galt bis dato als unmöglich, nun kann es als Standardmaterial auf der Protiq-Internetplattform bestellt werden.

Arbeiten Sie auch mit anderen Experten zusammen?

Lohn: Um das Materialangebot auszuweiten, kooperieren wir zudem sehr eng mit Materialherstellern, die dann neue Legierungen liefern. Wir entwickeln im Gegenzug Prozessparameter für deren additive Verarbeitung. Beide Seiten profitieren dabei.

Ähnliche Entwicklungskooperationen pflegen wir mit verschiedenen Anlagenbauern und im Bereich der Nachbearbeitung. Wichtig ist es für die wirtschaftliche Herstellung von größeren Stückzahlen, dass wir schlankere, fließende AM-Prozesse etablieren. Der Vorteil von AM ist doch, dass wir komplexe Einzelstücke fertigen können. Aber der Trend geht dahin, möglichst viele Teile im Bauraum zu batchen und zu warten bis das letzte Teil soweit ist.

Wir brauchen Lösungen, um ein Stück im Fluss zu fertigen! Schneller geht es heute etwa durch die Belichtung ganzer Ebenen statt einzelner Punkte oder durch eine andere Materialzufuhr als im Pulverbett. Auch bedarf es Schnittstellen, um Bauteile sofort automatisiert der Nachbearbeitung zuzuführen.

Optimierungsbedarf besteht zudem in Dokumentation und Qualitätssicherung. Da fehlt es an unabdingbaren Features, die wir teils selbst entwickeln, da wir sie brauchen. Wir bei Protiq realisieren verfahrensgemischt automatisierte Prozessketten bereits heute.

Was gilt es nun für die Zukunft zu unternehmen?

Lohn: Bunte Animationen gibt es bereits viele. Jetzt muss gehandelt werden. Für uns ist AM nur eine Station unter vielen. Subtraktive und additive Verfahren gehen dabei Hand in Hand, um Bauteile funktional zu optimieren und zugleich ressourceneffizient zu fertigen. Nicht nur auf der Hardwareebene wird diese Prozesskette voll automatisiert sein, sondern es braucht die digitale Verkettung, damit AM-Systeme und Fräser wissen, wo Material aufzubauen und abzutragen ist, die Erodiermaschine schon Material für ihren Bearbeitungsschritt vorhalten kann und auch die Messmaschine aus dem CAM-Daten weiß, welche Messpunkte am Bauteil sie anzusteuern hat. Die Automatisierung ist nötig, damit Additive Manufacturing hier am Standort eine Zukunft hat.

Wie haben Sie Ihr Geschäftsmodell generell aufgebaut bzw. wie wickeln Sie bei Protiq Angebote und Aufträge ab?

Lohn: Wir fertigen Einzelteile, Prototypen sowie Kleinserien und haben einen Schwerpunkt auf Sondermaterialien. Bestellprozess, Abrechnung und das Datenhandling entlang der AM-Prozesskette sind digital voll integriert: vertikal wie horizontal. Payment-Provider und Logistik-Serviceprovider sind über Schnittstellen angebunden und bekommen alle benötigten Daten vollautomatisch.

Wir haben zudem eine Kooperation mit unterschiedlichen Partnern, wie z.B. Conrad Electronic. Kunden können über deren Website 3D-Daten hochladen und sie bei uns fertigen lassen. Auch hierbei handelt es sich um einen komplett digitalen, hochgradig automatisierten Prozess.

Wir lieben die schnelllebige Welt der Additiven Fertigung und wissen, dass kein Dienstleister in der Lage ist jederzeit alle Technologien und Materialien anzubieten. Vor diesem Hintergrund öffnen wir unsere Plattform für weitere 3D-Druckdienstleister. Aktuell bieten wir zusammen mit 17 Dienstleistern, die ihren Service auf der Protiq-Plattform anbieten, alle wichtigen Verfahren und Materialien an.

Abgerundet wird unser Angebot durch Dienstleistungen rund um den Konstruktionsprozess: Etwa Simulationen von Magnetfeldern für Induktoren oder zur Topologie-Optimierung von AM-Bauteilen sowie auch Schulungen und Beratung. Auf Basis dieser Erfahrungen entwickeln wir mit Partnern unsere Plattformangebote weiter, etwa indem wir unsere Konfiguratoren für Induktoren und Zahnräder optimieren. Letztlich standardisieren wir Parameter abgeschlossener Projekte und schaffen so automatisierte Engineering-Lösungen. Die Konfiguration von Kupferinduktoren wird zu einer Sache von Minuten.

Fünf bis acht Tage später sind sie beim Kunden. Herkömmlich dauert dieser Prozess acht bis zehn Wochen. Im letzten Herbst haben wir mit Partnern einen Online-Topologieoptimierer vorgestellt, der Kunden anhand von Lastanforderungen an ihr Bauteil weitgehend automatisiert zur optimierten Bauteilauslegung führt. Hier konnten wir den Prozess radikal beschleunigen: Statt nach Rechenzeiten von 20-30 Stunden, liegen die Ergebnisse nun in 20-30 Minuten vor.

Welche rechtlichen Aspekte gilt es dabei zu berücksichtigen?

Lohn: Wir brauchen verlässliche und praktikable regulatorische Rahmenbedingungen, um Additive Manufacturing als industriellen Prozess zu verankern. Sei es in Fragen der Produkthaftung, der Arbeitssicherheit oder der gewerblichen Schutzrechte. Vor diesem Hintergrund engagieren wir uns aktiv in Arbeitsgruppen und Gremien wie dem VDMA, VDI oder 3D-Druck-Netzwerken wie z.B. Mobility goes Additive.

Unsere durchgängige Produktionsprozesskette mit integriertem Qualitätsmanagement haben wir durch den TÜV Süd zertifizieren lassen und die QM-Zertifizierung für industrielle Additive Fertigungsstätten als „Additive Manufacturer“ erhalten.

Protiq ist ein Unternehmen der Phoenix Contact-Gruppe. Welche Synergien ergeben sich daraus?

Lohn: Die Protiq GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Phoenix Contact GmbH & Co. KG. Es gibt vielfältige Schnittstellen beispielsweise zum unternehmensinternen Werkzeug- und Maschinenbau an den Standorten Blomberg in Deutschland, Delhi in Indien, Nanjing in China und Nowy Tomysl in Polen sowie zu den Produktentwicklungs- und Engineeringbereichen weltweit.

Protiq tritt dabei als Entwicklungspartner und Dienstleister auf und beliefert die entsprechenden Kunden. Außerdem werden aus der Phoenix Contact-Gruppe heraus Engineering- und Entwicklungs-Dienstleistungen für Protiq nach dem Shared-Service-Prinzip erbracht.

Das ist vorab veröffentlichtes Interview aus dem MM Maschinenmarkt Ausgabe 10/2019. Das Heft erscheint am 15. Oktober 2019 und kann dann als ePaper hier abgerufen werden.


Quelle: Protiq GmbH

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