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Interview | Manuel Grenacher: Wie der Kundenservice von Digital Twins profitiert

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"Augmented Reality wird schon bald erfahrenes Personal mit entsprechender digitaler Unterstützung vor Ort in die Lage versetzen, qualifizierte Arbeiten ohne Detailwissen über die jeweilige Maschine vorzunehmen", sagt Manuel Grenacher, CEO der Coresystems FSM AG

Was ist ein „Digitaler Zwilling“/ „Digital Twins“?

Manuel Grenacher: Kurz gesagt bilden „digitale Zwillinge“oder „digital Twins“eine Anlage im Computer nach. Im Idealfall werden dazu Daten aus der Engineering-Phase – von 3D-Modellen bis zu Detailinformationen verbauter Komponenten – in die Betriebsphase übernommen. Sensoren liefern Live-Informationen der Betriebszustände, und zusätzlich werden alle technischen Neuerungen an der Anlage, etwa der Einbau eines Ersatzteils, im „Digitalen Zwilling“ nachvollzogen. Da dieser immer auf dem neuesten Stand ist, dient er als detailliertes „Nachschlagewerk“ mit allen Informationen zur Anlage.

Wie wichtig sind „Digital Twins“ Ihrer Einschätzung nach derzeit im Service?

Grenacher: Sie ermöglichen die Umsetzung einer vorausschauenden Wartung. Durch das Sammeln von Daten lassen sich Messdaten einem bestimmten Anlagenzustand zuordnen. So wird oft schon im Vorhinein anhand der sich ändernden Messzustände deutlich sichtbar, dass ein bestimmtes Bauteil in absehbarer Zeit ausfallen wird. Damit lassen sich geplante Anlagenstillstände besser koordinieren und Reparaturzyklen der zu erwartenden Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls anpassen.

Welche Merkmale einer Anlage sollte ein „Digitaler Zwilling“ abbilden, damit er für den Service relevante Informationen liefert? Ist das mit heutiger IoT-Technologie schon gegeben?

Grenacher: Mit genügend Sensoren in der Anlage und einer systematischen Auswertung der Daten lassen sich bevorstehende Ausfälle von Komponenten schon heute sehr gut voraussagen. Hier ist technisch aber mehr möglich, als vielfach wirklich im Werk anzutreffen ist. Wegen noch laufender Abschreibungen oder aus anderen betriebswirtschaftlichen Gründen investieren Unternehmen erst nach und nach in Anlagen, die mit moderner IoT-Technik ausgerüstet sind. Durch Skaleneffekte werden die Kosten für diese Infrastruktur in den kommenden Jahren weiter rasant sinken. Ich erwarte für die Zukunft eine zunehmende Verbreitung von Sensoren, die gleichzeitig einfacher einsetzbar, widerstandsfähiger und günstiger werden.

Welche Vorteile ergeben sich auf Kundenseite, wenn der Service auf die Daten eines „Digitalen Zwillings“ zugreifen kann?

Grenacher: Unvorhergesehene Anlagenstillstände können dank vorausschauender Wartung weitgehend vermieden werden. Auch lassen sich Anhaltspunkte dafür gewinnen, wie bestimmte schädliche Betriebszustände verhindert werden können, beispielsweise erhöhte Temperaturen, die zu schnellerem Verschleiß führen. Durch solche Maßnahmen lässt sich der fehlerfreie Betrieb deutlich verlängern.

Wie wird der zunehmende Einsatz von „Digital Twins“ den Kundenservice in den kommenden Jahren verändern?

Grenacher: Digitale Zwillinge bieten das Potenzial, mit ihrem immensen Datenmaterial sowohl im Service als auch im Bereich Business Intelligence ganz neue Anwendungsbereiche zu kreieren. Der Einsatz von Sensoren ermöglicht es, Maschinenzustände und die erzielte Produktqualität in Echtzeit abzubilden – ebenso wie Prognosen über Probleme, die sich erst im Anfangsstadium befinden. Auf diese Weise kann der Service eingreifen, bevor es zu teuren Maschinenausfällen kommt. Auch Wartungsintervalle können auf Basis der Live-Informationen dynamisch an die tatsächlichen Erfordernisse angepasst werden.

Wie wird ein „Digitaler Zwilling“ in zehn oder fünfzehn Jahren im Vergleich zu heute aussehen? Welche technologischen Veränderungen werden dabei wichtig?

Grenacher: Ich erwarte eine extreme Verdichtung des Sensor-Netzwerks in Industrieanlagen und der gesamten Logistik. Gleichzeitig werden diese Sensoren immer leistungsfähiger und günstiger. In Zukunft werden sämtliche Anlagen eines Unternehmens, aber auch alle Ersatzteile, Werkzeuge, Behälter und Produkte durch ihre „digitalen Spiegelbilder“ repräsentiert sein – eine komplette Fabrik im Computer. Die Vielzahl an Daten, die dadurch gesammelt werden können, wird im Zusammenspiel mit einer Auswertung durch KI-Anwendungen ganz neue Einsichten ins Zusammenwirken der Betriebsprozesse ermöglichen. Das führt hin bis zur vollautomatisierten Smart Factory, die sich dank KI und Digitaler Zwillinge praktisch ohne menschlichen Eingriff selbst steuern kann.

Welche neuen Geschäftsmodelle erwarten Sie im Servicebereich als Folge der zunehmenden Anlagen-Digitalisierung?

Grenacher: Industrie 4.0 kann ohne digitales Servicekonzept nicht funktionieren, denn der Bereich Service gehört zur Digitalisierung unbedingt dazu. Die Abgrenzung zum Wettbewerb erfolgt bereits heute meistens über den Service und nicht mehr über das Produkt, da dieses oft zu ähnlich, ja austauschbar ist. Kunden wählen deshalb vor allem den Partner, der mehr und schnellere Services bietet. Ziel jedes Unternehmen sollte es deshalb sein, seine Kunden besser zu verstehen, bessere Touchpoints zu schaffen und den Service zu verbessern. Hier ordnen sich neue Konzepte wie „Machine-as-a-Service“ ein, bei denen Unternehmen vom Hersteller nur noch die Leistung einer Maschine einkaufen anstatt die Maschine selbst – inklusive des Service, um deren konstante Leistung zu gewährleisten. Service Lifecycle Management spielt in diesem Konzept eine zentrale Rolle. Rund um solche Konzepte werden künftig ganze Ökosysteme aus neuen Leistungs- und Serviceanbietern entstehen.

Predictive Maintenance ist ein wichtiges Thema im Service. Gibt es Emerging Technologies, die bald ähnlich wichtig werden könnten?

Grenacher: Augmented Reality wird schon bald erfahrenes Personal mit entsprechender digitaler Unterstützung vor Ort in die Lage versetzen, qualifizierte Arbeiten ohne Detailwissen über die jeweilige Maschine vorzunehmen. Diese fehlenden Details werden dem Techniker zum Beispiel über eine Datenbrille zugeliefert. So lassen sich qualifizierte Kräfte in das Instandhaltungs- und Skill-Management integrieren, die nicht zum Mitarbeiterstamm des Serviceunternehmens gehören, ohne dass firmenspezifische Schulungen erforderlich werden. Auch das Machine Learning wird in den kommenden Jahren sein volles Potenzial entfalten: So ermöglicht der Einsatz künstlicher Intelligenz eine Einschätzung, welches ungenutzte Potenzial aus einer Maschine zu holen ist und inwiefern sich ihr Einsatz in einem bestimmten Anwendungsgebiet oder -szenario lohnt.


Quelle: Coresystems

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