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Zukunftsforscher Eckard Minx | „Die Digitalisierung schafft keiner mehr alleine!“

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Eckard Minx, Zukunftsforscher, Managementtrainer und Berater

Die Digitalisierung betrifft immer mehr Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Doch wie können Unter­nehmen rechtzeitig erkennen, wie sie in Sachen Digitalisierung agieren sollen? Der Zukunftsforscher Eckard Minx rät jedenfalls, rasch aktiv zu werden, denn die Entwicklung schreite schneller voran als je zuvor.

Interview von Sissi Eigruber, DHK

Professor Minx, Sie sind auch Managementtrainer und Berater. Wie können Unternehmen die Digitalisierung handhaben, um zukunftsfit zu bleiben?

Wir befinden uns am Beginn einer grundlegenden industriellen Revolution – einer Metamorphose. Nur geht es im Gegensatz zur ersten industriellen Revolution nicht um die menschliche Kraft, sondern um die kognitive Leistungsfähigkeit. Die Digitalisierung hält Einzug in alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Die Frage ist: Was bedeuten Digitalisierung und sogenannte künstliche Intelligenz für unser alltägliches Tun und damit für die Wirtschafts- und Arbeitswelt? Zukunftsorientiert zu handeln bedeutet, ein „Denken auf Vorrat“ zu organisieren. Denn Zukunft wird produziert durch Tun und Unterlassen. Und erst durch Handeln wird aus dem, was kommen könnte, wirkliche Zukunft.

Welche Aspekte sind zu bedenken?

Die Digitalisierung ist einem Tsunami ähnlich, der jedes Geschäft betrifft. Das Zeichen unserer Zeit ist eine enorme Dynamik beziehungsweise Turbulenz. Wir müssen mit exponentiellen Entwicklungen und unüberschaubaren Zusammenhängen rechnen. Zudem sind Überraschungen ein Kennzeichen derartiger komplexer Systeme. Der Umgang damit verlangt nach menschlichem Können – nach Unternehmern. Solch tief greifende Veränderungen erfordern zudem Improvisationsgeschick, ein intelligentes Wir und eine langfristige Anpassungsfähigkeit.

Wie können Unternehmen das schaffen?

Gerne halten wir an den kollektiven Weltbildern, an „Alles bleibt, wie es ist“ fest. Aber die Zukunft ist meist anders, als wir sie erwarten. Und sie kommt vor allem immer schneller. Unsicherheit entsteht, weil wir vergessen, dass wir Zukunft eben nicht wissen können. Erst, wenn wir uns auf die Signale und Zeichen der Veränderung einlassen können, und dies immer wieder aufs Neue, schaffen wir die Grundlage für Zukunftsorientierung. Dazu müssen wir auf grundsätzliche menschliche Fähigkeiten zurückgreifen: ­beobachten, wahrnehmen, verstehen, durch Handeln lernen und daraus Schlussfolgerungen für die eigene Organisation ziehen. Und zudem das scheinbar Undenkbare für denkbar halten – auf das Unwahrscheinliche gefasst sein.

Welche Fragen sollte sich das Management stellen?

Wesentlich sind die altbekannten W-Fragen von Peter F. Drucker: Was? Wer? Worauf? Wie? Sie sind allerdings heute mit besonders hohen Herausforderungen verbunden, wie der Organisationsberater Klaus Doppler sagt, denn die bestehende Ordnung ist zwar vor einem anderen Hintergrund entstanden, hat sich aber über lange Zeit bewährt. Inwieweit kann sie weiterhin gelten, wenn sich der Kontext radikal ändert? Wie kann eine neue Ordnung aussehen bezüglich Strukturen, Prozessen und Werten? Wie kann sie entstehen? Wie viel Zeit steht dafür zur Verfügung und wie lange darf die alte Ordnung noch parallel gelten? Kann die notwendige Veränderung schrittweise erfolgen oder ist ein radikaler Bruch notwendig und sinnvoll? Bisher sind wir vor allem eine Antwortgesellschaft. Wir schöpfen unser Wissen, mit dem wir Zukünftiges anpacken, aus unseren Erfahrungen. Um uns vom Tempo der Veränderungen nicht überfahren zu lassen, müssen wir uns in eine Fragengesellschaft verwandeln. Und wir müssen die Fragen viel früher stellen, manch gut begründete Antworten trotzdem verwerfen und neue denken; wir müssen auf Vorrat denken.

Welche organisatorischen Änderungen sind nötig?

Vor allem gilt es, die neuen Entwicklungen zu verstehen und zu akzeptieren. Erst auf der Grundlage des neuen Verständnisses besteht die Möglichkeit, konkrete Handlungs- und Steuerungskonzepte ableiten zu können. Auf der Basis eigener Erfahrung kann persönliche Kompetenz aufgebaut werden. Unser Handeln und weniger das Planen ist das, was uns Lernen ermöglicht und letztlich den Erfolg erklärt. Daher ist es notwendig, die Rahmenkriterien für Denken und Handeln neu zu formulieren.

Wie macht man Organisationen flexibler?

Die bestehenden Ordnungsprinzipien, Spielregeln respektive Kulturen in vielen Organisationen – nennen wir sie etwas undifferenziert „alte Organisation“ – sind wesentlich charakterisiert durch feste Zuständigkeiten, vielfach verbunden mit zähflüssigen Prozessen, verursacht durch starre Abteilungsgrenzen und Funktionsbereiche. Die Handlungsfelder einer „neuen“ Organisation fokussieren demgegenüber auf Themen und Lösungen, verbunden mit hoher Flexibilität und schnellem Handeln, simultan im experimentellen Modus. Hier wird die eigene Identität als Unternehmen beziehungsweise Unternehmer stetig hinterfragt und, so notwendig, angepasst oder – nach dem Ökonomen Joseph Alois Schumpeter – schöpferisch zerstört. Bei all dem wird darauf geachtet, dass Pfadabhängigkeit aufgelöst und durch die Offenhaltung alternativer Wege ersetzt wird. Führung ist in diesem Konzept als flexible Funktion zu verstehen. Insgesamt kann das als „Start-up-Mentalität“ bezeichnet werden.

Wie können Unternehmen neue Geschäftschancen im Zuge der Transformation durch Digitalisierung ­erkennen und nutzen?

Jede Firma wird das zu ihr passende Geschäftsmodell erfinden müssen. Es geht dabei um sogenannte Ökosysteme, etwa die Plattformökonomie. Produkte und Dienstleistungen entstehen über Plattformen und man kann Teil davon sein. Für diese neuen Geschäftsmodelle gibt es bereits zahlreiche Beispiele, etwa den Onlinevermittlungsdienst zur Personenbeförderung Uber, die B2B-Handels­plattform Alibaba oder diverse Hotelbuchungsplattformen, über die auch andere Dienstleistungen angeboten werden.

Die eigentliche Perspektive ergibt sich durch drei Entwicklungsfelder: erstens eine neue Mensch-Maschine-Zusammenarbeit – siehe künstliche Intelligenz und Machine Learning –; zweitens die moderne Plattformökonomie, etwa Online-to-offline-Plattformen; drittens das Zusammenwirken klassischer Wertschöpfung – also das Kerngeschäft – via virtuelle Plattformen. Dies verdeutlicht: Die Digitalisierung schreitet in rasantem Tempo voran und wird uns alle weiterhin heraus­fordern.

Zur Person Eckard Minx

Eckard Minx studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Freien Universität (FU) Berlin und arbeitete als Assistent am Institut für Volks- und Weltwirtschaft. Nach einem kurzen Ausflug in den Anlagenbau in Saudi-Arabien und Algerien trat er 1980 in die Daimler Benz AG ein, wo er von 1992 bis 2009 die Zukunftsforschung im Bereich Gesellschaft und Technik mit den Standorten Berlin, Palo Alto und Kyoto leitete. Minx lehrt als Honorarprofessor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sowie am Institut für Transportation Design der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Seit 2007 gehört Minx dem Vorstand der Daimler und Benz Stiftung an, deren Vorsitz er 2008 übernahm. Der Zukunftsforscher und Spezialist für Innovationsmanagement und Organisationsentwicklung gründete 2010 in Berlin das Beratungsunternehmen „Die Denkbank – Engelke Minx Partner“ mit.

 


Quelle: DHK Deutsche Handelskammer

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