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Georg Stawowy: Von der Smart Factory zur Smart Supply Chain

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LAPP stellt sich der Herausforderung der Smart Factory und hat dabei einiges gelernt, wie Georg Stawowy, Vorstand für Innovation & Technik LAPP, in seinem Beitrag beschreibt.

Fabriken werden digital und steuern sich selbst. Doch die Smart Factory allein reicht nicht. Wichtiger ist die Digitalisierung der gesamten Supply-Chain. Erst durch die Vernetzung von Herstellern, Zulieferern, Händlern und Kunden lassen sich Effizienzgewinne und Vorteile für alle erzielen. Doch wie kann dieses integrierte und automatisierte Zusammenarbeiten über Unternehmensgrenzen hinweg gelingen, wenn sich schon das einzelne Unternehmen beim internen Vernetzen von Maschinen, Systemen und Prozessen schwertut? LAPP stellt sich der Herausforderung und hat dabei einiges gelernt.

Smart Factory – ein Begriff wie eine Verheißung: Fabriken sollen künftig mit Sensoren gespickt hochautomatisiert arbeiten und sich selbsttätig organisieren, immer auf der Suche nach dem Optimum aus Produktivität und Qualität und bitteschön mit der Möglichkeit für Losgröße 1, also zur Fertigung von kundenindividuellen Produkten. Smart Factory ist richtig und wichtig – auch LAPP ist seit 2013 mit Verbindungstechnik und einem Fertigungsmodul in der modularen Demofabrik des gleichnamigen Forschungsprojekts vertreten. Aber mittlerweile meine ich: Smart Factory greift zu kurz. Der Begriff besagt, dass es sich hier um eine Fabrik handelt, ohne Austausch mit der Umwelt. Ich weiß: Im Umfeld aller Bemühungen rund um Industrie 4.0 spielte die Logistik zwischen Fabriken immer eine Rolle, auch beim Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz, welches das Smart-Factory-Projekt initiiert hat. Dennoch denke ich, dass das Thema vernetzte Supply-Chain in den Fachkreisen bis heute nicht so umfassend diskutiert wird, wie es eigentlich notwendig wäre.

Vielleicht liegt das an den unterschiedlichen Interessen unterschiedlicher Branchen. In der Automobilindustrie etwa gibt es wenige Fahrzeughersteller und ebenso einen überschaubaren Kreis an Zulieferern, die vor allem im Ausland ihre Fabriken direkt vor die Werkstore ihres Abnehmers bauen. Auch in diesem Kontext ist die Supply-Chain gewiss alles andere als trivial, aber wenn man die Bremsanlage oder das Armaturenbrett nur auf die andere Straßenseite bringen muss, ist die Lieferung just-in-time kein Hexenwerk. Bei Herstellern, die viele Branchen mit einer Vielzahl an Kunden und einer riesigen Menge an Produktvarianten bedienen, zu denen auch LAPP zählt, ist die Ausgangssituation eine andere: Die Supply-Chain ist ein komplexer Kernprozess – dessen Digitalisierung und der Vernetzungsgedanke stehen im Mittelpunkt, wenn es um effektivere Produktion geht.

LAPP bietet rund 40.000 Standardprodukte an, die wir in alle Welt versenden, an Händler oder direkt an viele tausend Kunden. Auch wenn die Verkabelung meist nur einen geringen Anteil der Kosten ausmacht, funktionieren eben die wenigsten Maschinen und Anlagen ohne sie. Das betrifft die Qualität ebenso wie die verlässliche Lieferung. Gerade die Lieferfähigkeit ist für unsere Kunden ein wichtiges Argument pro LAPP. Da wollen wir permanent besser werden, und damit kommt die Vernetzung ins Spiel. In Ludwigsburg betreibt LAPP ein hochmodernes und weitgehend automatisiertes Lager. Doch es ist nicht immer sinnvoll, Ware von dort zu verschicken. Vielleicht braucht ein Kunde in Hamburg dringend einen Stecker, den einer unserer Handelspartner in Hamburg vorrätig hat. Wenn wir das wissen, können wir einen Auftrag, der über unseren Online-Shop hereinkommt, an diesen Händler weiterleiten. Das spart Zeit und entlastet die Umwelt. Vielleicht ist das Teil aber auch nirgends vorrätig und muss nachproduziert werden. Das sollte dann automatisch in dem Werk geschehen, wo die erforderlichen Maschinen stehen und freie Kapazität haben. Das Ganze gleicht einem Marktplatz für Kapazitäten, auf welchem sich Angebot und Nachfrage selbst organisieren und dadurch das effizienteste Ergebnis für den Kunden erzielt wird.

Dass so etwas möglich ist, beweist Amazon jeden Tag tausendfach. Bestellt man dort fünf Dinge, kommen die in der Regel nicht alle aus einem Lager, sondern werden aus verschiedenen Standorten abgerufen. So stelle ich mir die Supply-Chain auch für LAPP vor. Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Denn es setzt voraus, dass die ERP-Systeme aller Werke, Lager und Händler vernetzt sind. Wer schon mal versucht hat, in einem global vernetzten Unternehmen ein neues SAP System einzuführen, weiß, vor welcher Herausforderung man dabei steht. Wenn das in einem Unternehmen schon so schwierig ist, wie soll es dann über ganze Supply-Chains von Lieferanten bis hin zu Händlern funktionieren? Dieses Projekt wird uns noch etliche Jahre beschäftigen. Dennoch führt daran kein Weg vorbei.

Ideal wäre ein einheitliches ERP-Netzwerk über die gesamte Supply Chain. Doch die Realität sieht anders aus: Unsere Lieferanten, Handelspartner und Kunden werden nicht einfach ihre Software ausrangieren, nur weil LAPP das möchte. Sie haben selbst eine Vielzahl an Beziehungen zu anderen Lieferanten und ihren Kunden, die wieder andere Systeme betreiben. Unser Ziel ist daher, zumindest LAPP intern ERP-, MES- und Shopfloor-Management-Systeme zu vereinheitlichen und die Akteure außerhalb von LAPP über einfache Schnittstellen ins ERP einzubinden.

Schon die Vereinheitlichung intern ist schwierig genug. Schlagen wir hier den falschen Weg ein, kann das teuer werden und uns um Jahre zurückwerfen. Deshalb haben wir entschieden, Schritt für Schritt vorzugehen, Optionen zu testen und uns erst für einen Weg zu entscheiden, wenn wir sicher sind, dass es der richtige ist. Ein Beispiel: Wir wollen in unseren Werken ein smartes Shopfloor-Management einführen. Dazu haben wir an zwei Produktionsstandorten in Forbach, Frankreich, und in Shanghai, China, zwei unterschiedliche Systeme getestet. Daraus haben wir nicht nur gelernt, welches System für uns besser geeignet ist, sondern auch, was wir überhaupt brauchen.

Ein Aha-Erlebnis haben wir zurzeit bei der Auswahl eines MES-Systems, das wir in allen Werken einführen wollen. Es gibt rund 1000 Systeme am Markt. Um daraus das richtige zu finden, bietet der deutsche MES Dachverband online ein Auswahltool an, das in unserem Fall aber immer noch 50 Anbieter empfohlen hat. Ein externer Berater hat uns dabei unterstützt, die Auswahl auf drei Systeme zu reduzieren. Aus diesem Auswahlprozess und aus den Tests in Frankreich und China haben wir gelernt, was wir genau brauchen, um die oben skizzierte Vision von einer vernetzten Supply-Chain zu realisieren.

Das Beste ist: Die Mitarbeiter in den beiden Werken in Forbach und in Shanghai sind äußerst engagiert und haben richtig Hunger auf mehr Digitalisierung bekommen, auch in den anderen Werken wartet man ungeduldig darauf. Die Befürchtung, dass Neues erstmal abgelehnt wird, hat sich nicht erfüllt. Ich bin optimistisch, dass das auch in dem Werk so bleiben wird, dessen System nach der endgültigen Auswahl nicht zum Zuge kommt, und natürlich auch in allen anderen unserer Produktionsstandorte, wo das neue Shopfloor-Management eingeführt wird.

Digitalisierung und Vernetzung ist also keineswegs nur eine technische Herausforderung, sondern ebenso eine organisatorische. Und man muss die Menschen mitnehmen. Wenn alles so gelingt, wie wir uns das vorstellen, wird die Supply-Chain von LAPP durchgängig digitalisiert und hoch vernetzt – und die Smart Factory bekommen wir als Bonus dazu. Aber keine Frage: Das wird uns viel Anstrengung kosten und noch etliche Jahre dauern.

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