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Das gläserne Wasserkraftwerk

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Das 30 Jahre alte PIlotkraftwerk Rabenstein bietet für die Umsetzung von digitalen Testsystemen sehr gute Voraussetzungen.

Über 120 Wasserkraftwerke zählen zum Verbund und diese möchte er sukzessive digitalisieren. Im Pilotkraftwerk Rabenstein in der Steiermark werden aktuell Digitalisierungstechnologien hinsichtlich Praxistauglichkeit getestet.

Welcher Aufwand hinter diesem Ziel steckt und ob dieser schlussendlich vielversprechend
ist, erzählten Dipl. Ing. Dr. Bernd Hollauf, Projektleiter „Digitales Wasserkraftwerk“ bei der Verbund Hydro Power (VHP), und Dipl. Ing. Mag. Daniel Wagner vom Digital Center of Excellence beim Verbund, in einem persönlichen Gespräch.

IoT 4 Industry & Business: Das Wasserkraftwerk der Zukunft soll digitalisiert werden und hierfür eine eigene IoT-Plattform erhalten. Gemeinsam mit dem Fraunhofer Austria Research haben Sie zu Beginn an diesem Projekt gearbeitet, ist das richtig?

Dipl. Ing. Dr. Bernd Hollauf: Das stimmt. Wir waren auf der Suche nach einer für den Wasserkraftbereich geeigneten IoTPlattform-Lösung und das Fraunhofer Austria Research führte in diesem Zusammenhang eine Marktrecherche durch.

IoT: Mit welchem Ziel?

Hollauf: Wir möchten grundsätzlich eine IoT-Plattform als systemübergreifende Datendrehscheibe generieren.

IoT: Warum?

Hollauf: Der Grund hierfür ist, dass wir zwar jahrelang bewährte aber teilweise isolierte Systeme vorliegen haben, die letztendlich zusammengeführt werden sollen. Um aus den bereits vorliegenden und zukünftig noch generierten Daten durch weitergehende Analysen die richtigen Schlüsse ziehen zu können, ist das Zusammenbringen der Daten unterschiedlicher Quellen eine Grundvoraussetzung. Dies betrifft nicht nur den Wasserkraftbereich des Verbund. Viele Daten aus unterschiedlichen Konzernbereichen werden an unterschiedlichsten Stellen im Unternehmen wieder benötigt, eine Plattform ist daher logischerweise dann am effizientesten, wenn sie über alle Konzernbereiche übergreifend eingesetzt wird.

IoT: Sie wollten anfangs das IoT-Plattform-Thema auslagern?

Hollauf: Man muss in diesem Zusammenhang erwähnen, dass das Know-how betreffend Plattformlösungen im Projektteam, so wie es in der jetzigen Ausprägung vorhanden ist, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in der Tiefe vorlag – jedenfalls nicht so, wie
wir es gebraucht hätten. Wir mussten uns zu Beginn auch erst einmal einen Überblick verschaffen, welche Möglichkeiten IoT-Plattformen bieten und inwiefern diese unsere Aufgabenstellungen erfüllen können. Die Empfehlungen, die wir dann nach der Fraunhofer Austria Research-Marktrecherche erhalten haben, waren unterteilt in OT- und in IT-nahe Plattformlösungen. Schlussendlich muss man sagen, dass dieser ganze Prozess ein wesentlicher Lernschritt für uns war. Hilfreich für unser Plattform-Thema war dann auch die Gründung einer eigenen Digitalisierungsabteilung im Konzern.

Dipl. Ing. Dr. Bernd Hollauf, Projektleiter „Digitales Wasserkraftwerk“ bei der Verbund Hydro Power (VHP)

„Im digitalen  Wasserkraftwerk soll grundsätzlich die Arbeit der Kollegen vor Ort im Kraftwerk durch digitale Technologien unterstützt werden.“

IoT: Seit wann besteht diese neue Abteilung?

Dipl. Ing. Mag. Daniel Wagner: Diese Abteilung beim Verbund, die sich jetzt unter anderem mit diesem Thema auseinandersetzt, gibt es seit September 2017. Ich bin dann ab Juli 2018 in diese Abteilung und auch zum Projektteam „Digitales Wasserkraftwerk“ dazugestoßen.

IoT: Herr Wagner, waren Sie bereits beim Verbund angestellt?

Wagner: Ja. Grundsätzlich habe ich im Verbund, wo ich seit etwa elf Jahren beschäftigt bin, auch andere Aufgabengebiete inne. Doch inzwischen kann ich sagen, dass das Projekt „Digitales Wasserkraftwerk“ eines meiner Hauptbeschäftigungen ist. Dass ich bereits beim Verbund tätig war, ist ein großer Vorteil insofern gewesen, als dass ich das Unternehmen und die Kollegen recht gut kenne.

IoT: Inwiefern spielt die zwischenmenschliche Komponente in einem Digitalisierungsprojekt eine Rolle?

Wagner: Nun ja. Zunächst geht man immer davon aus, dass bei einem Digitalisierungsprojekt ausschließlich die technische Ebene die große Herausforderung ist. Das ist es aber eben nicht! Vielmehr ist auch die menschliche Komponente entscheidend. Im Zuge der technischen Weiterentwicklung werden etwa Arbeitsschritte neu definiert und neue Arbeitsmethoden eingeführt und all das betrifft ja auch Personen, also die Kollegen, sehr stark in ihrem täglichen Arbeitsumfeld. Hier bedarf es einer gewissen Vertrauensbasis, die vorhanden sein muss für eine erfolgreiche Umsetzung.

Hollauf: Bei jedem Digitalisierungsprojekt hat man ja mit den klassischen Herausforderungen zu kämpfen. Im Grunde geht es aber immer darum, den konkreten Mehrwert der jeweiligen Digitalisierungsinitiativen zu zeigen. Das ist auch unsere Hauptaufgabe im Projekt. Sobald der Mehrwert erkennbar wird, hat man auch die Akzeptanz der Kollegen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass das Management von Anfang an hinter dem Thema steht und dies auch kommuniziert.

IoT: Aber die Digitalisierungsstrategie wird ja wahrscheinlich von Management-Seite aus fixiert worden sein?

Hollauf: Das ist richtig. Hiermit hat man sich vor ungefähr zwei Jahren intensiv auseinandergesetzt. Daraus sind bei der Verbund Hydro Power zwei große Digitalisierungsprojekte hervorgegangen – eines davon ist das „Digitale Wasserkraftwerk“.

IoT: An welchem Punkt sind Sie nun derzeit mit dem Projekt in Bezug auf das Plattform-Thema angelangt? Soweit ich gehört habe, haben Sie sich schlussendlich nicht für eine Empfehlung des Fraunhofer Austria Research entschieden?

Hollauf: Das stimmt. Man muss jedoch ganz klar sagen, dass wir durch die Marktrecherche des Fraunhofer Austria Research einen sehr hilfreichen und wichtigen Überblick zum Thema IoTPlattformen erhalten haben. Ohne diesen wären wir wahrscheinlich nicht so weit gekommen, dass wir uns eben genau jetzt für eine interne Lösung, die wir anfangs ausgeschlossen hatten, entschieden haben. Durch die ganzen Gespräche und Eruierungen haben wir in diesem Bereich sehr viel dazugelernt.

IoT: Was meinen Sie damit genau?

Hollauf: Der Grundgedanke war ja der, dass wir verschiedene externe IoT-Plattformen testen wollten, um dann zu erkennen, welche unsere Anforderungen am besten trifft. Der umgekehrte Fall trat dann ein und wir haben erkannt, dass eine interne Lösung für Verbund wider Erwarten aus derzeitiger Sicht die bessere Entscheidung ist.

Wagner: Es haben ein paar Dinge schlussendlich ineinandergegriffen. Denn noch bevor ich in das Projekt eingestiegen bin, habe ich mich meiner Rolle als Enterprise/Solution Architect beim Verbund intensiv mit dem Thema Big Data beschäftigt und hier hat sich nach einem internen Proof-of-Concept in einer anderen Konzerntochter klar herauskristallisiert, dass wir bereits nützliches Wissen und technisches Know-how für das Projekt im Unternehmen vorliegen haben. Und auch aufgrund der internen Umstrukturierungen vor einiger Zeit ist es dann möglich gewesen, dass ich mich in das Projekt mit einbringen kann. Derzeit sind wir an dem Punkt angelangt, dass der IT-Betrieb schon wesentliche Elemente für die IoTPlattform aufgebaut hat. Darauf bauen wir nun die Use Cases – etwa für das „Digitale Wasserkraftwerk“ – auf.

IoT: Birgt die Entscheidung für den Aufbau einer internen, konzernweiten Plattformlösung nicht auch ein gewisses Risiko?

Wagner: Es ist natürlich auch ein Risiko und der Pilot ist ja noch nicht abgeschlossen. Wir sind im Aufbau der Plattform-Komponenten und werden dann intensiv erste Anwendungsfälle testen.

IoT: Und es wird vorzugsweise auf internes Know-How gesetzt?

Wagner: Das mit dem Know-how ist der wesentliche Aspekt in der ganzen Entscheidung. Einige Elemente, die wir betrachten, haben etwa mit Data Analytics, Machine Learning etc. zu tun und hier bekennt sich Verbund dazu diese Kompetenzen besser intern zu stärken bzw. auf dieses interne Know-how zu setzen und es nicht, wie anfangs gedacht, nach außen zu geben. Ich möchte auch noch einmal betonen, dass eine IoT-Plattform etwas derart Grundlegendes für uns ist, dass es sehr wohl Sinn macht, auf eine hausinterne Lösung zu setzen bzw. diese erst einmal zu testen. Man darf eines nicht vergessen: Mit jeder externen Lösung begibt man sich in eine gewisse Abhängigkeit – bezüglich allem, was über die Pilotphase hinausgeht.

Hollauf: Wir waren ja auch schon so weit, mit externen IoT-Plattformanbietern eigene  Testsysteme umsetzen zu wollen. Doch alleine die Kostendimensionen waren weit entfernt von unseren Vorstellungen und somit ist man auch dazu übergegangen, das Know-how intern aufzubauen und auch im Haus zu behalten.

IoT: Das bedeutet der Kostenaspekt trug zur Umentscheidung wesentlich mit bei?

Wagner: Ich denke, es stellt sich die Frage, was in der Wertschöpfungskette nachher noch als zentral gesehen wird und Betriebsdaten sowie Schlüsse für den Betrieb aus diesen Daten zu ziehen ist ein wesentliches Element innerhalb dieser Wertschöpfungskette und daher möchte man dieses Gut nicht bzw. nur gezielt nach draußen tragen.

Hollauf: Dem stimme ich zu. Wir sehen das IoT-Plattformthema als Basis, unser Know-how weiter zu vertiefen. Zudem kam bei einigen Teilprojekten ja auch die Frage auf, wie wir gesichert Daten kontinuierlich externen Partnern zur Verfügung stellen können. Die Plattform wird auch dieses Thema adressieren.

IoT: In welcher Phase befindet sich das Projekt derzeit?

Hollauf: Derzeit sind wir dabei die Testsysteme aufzubauen. Dann wird man sehen, wie das Ganze ineinanderfließt und anschließend folgt dann die technische und wirtschaftliche Bewertung. Wenn dieser Schritt dann vollzogen ist, wird sich zeigen, was schlussendlich auf die über 120 Wasserkraftwerke der Verbund Hydro Power ausrollbar sein wird.

IoT: Wo ist das Pilotprojekt angesiedelt?

Hollauf: Unser Pilotkraftwerk Rabenstein ist ein mittelgroßes Laufwasserkraftwerk in der Steiermark. Es wurde aus mehreren Gründen für unser Projekt ausgewählt. Das 30 Jahre alte Kraftwerk ist grundsätzlich mit einer Vielzahl der Kraftwerke der Verbund Hydro Power vergleichbar und bietet für die Umsetzung von digitalen Testsystemen sehr gute Voraussetzungen.

IoT: Das bedeutet, es muss auch zwischen den verschiedenen Kraftwerken noch differenziert werden?

Hollauf: Ja, zwischen den unterschiedlichen Typen der Kraftwerke muss differenziert werden. Die Situation, dass die digitalen Testsysteme dann auf Knopfdruck auf alle Kraftwerke gleich ausrollbar wären, ist nicht gegeben.

IoT: Das bedeutet aber auch, dass sich dieses Projekt über einen längeren Zeitraum hinziehen wird?

Hollauf: Ja, insgesamt sind fünf Jahre anberaumt. Die Rahmenbedingungen sind von Anfang an klar definiert gewesen. In einem interdisziplinären Projektteam werden wir Schritt für Schritt die Testsysteme umsetzen und evaluieren. Die Teamkollegen stehen dafür zu einem gewissen Anteil neben anderen Aufgaben in den jeweiligen Abteilungen für unser Projekt zur Verfügung.

IoT: Für ein Digitalisierungsprojekt sind fünf Jahre allerdings ein sehr langer Zeitraum

Hollauf: Das stimmt und damit werden wir auch immer wieder konfrontiert, wenn wir das Projekt vorstellen. Man muss beim Projekt „Digitales Wasserkraftwerk“ jedoch sehen, dass es sich nicht nur um das Plattform-Thema sondern um viele verschiedene Teilprojekte in einem Gesamtkomplex handelt, die entsprechend abgearbeitet werden und auch unterschiedliche Zeithorizonte haben. Außerdem gehen wir sukzessive neue Themen an, sobald wieder Ressourcen frei werden. Ich denke auch, dass der lange Zeitraum ein nachhaltiges Bekenntnis zur Digitalisierung ist. Zwar ist die Entwicklung bzw. Umsetzung in kurzen, überschaubaren Teilschritten eine wesentliche methodische Herangehensweise, um schneller voran zu kommen, jedoch braucht es gerade bei der Digitalisierung auch eine langfristige, kontinuierliche Beschäftigung mit den Themen.

Wagner: Da gebe ich meinem Kollegen Recht. Man benötigt bei diesen Digitalisierungsprojekten einfach einen langen Atem, denn beispielsweise allein das Auswählen und Testen der Plattformen nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Zudem ist es dann so, dass man die datengetriebenen und modellgetriebenen Projekte schlussendlich auch im aktiven Betrieb in Folge annehmen muss und sich ein Stück weit von den eigenen Erfahrungen differenziert und die neuen Systeme akzeptiert und mit einbaut. Vieles entscheidet sich dann auch in der Anwendung.

IoT: Sicherlich stellt sich dann auch die Frage warum man ein
digitales Wasserkraftwerk überhaupt braucht?

Hollauf: Oder eben generell – was ist das eigentlich? Die ursprüngliche Fragestellung war: Was stellen wir uns unter dem „Digitalen Wasserkraftwerk“ vor. Und hier hat sich jeder Fachbereich mit seinen Ideen eingebracht, wir haben diese Ideen dann gebündelt und priorisiert. Aufgesetzt wurde u.a. auch auf einem Ideenfindungs-Workshop in der Startphase mit internen Spezialisten aus sämtlichen Fachbereichen und auch externen
Experten.

IoT: Kurz zusammengefasst: Was ist nun ein digitales Wasserkraftwerk?

Hollauf: Im digitalen Wasserkraftwerk soll grundsätzlich die Arbeit der Kollegen vor Ort im Kraftwerk und auch in den Fachabteilungen durch digitale Technologien unterstützt werden. Insbesondere soll auch die Entscheidungsgrundlage für Instandhaltungsmaßnahmen bzw. den Kraftwerksbetrieb verbessert werden.


Quelle: Verbund

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