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Laut Oliver Wyman braucht Erfolg der Elektromobilität keine Quoten

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Ob die klassischen

Das Ziel vieler Länder, in den kommenden Jahren vermehrt oder gar ausschließlich auf E-Mobility zu setzen ist heikel. Dennoch gehen die Entwicklungen allesamt den gleichen Weg – das Ziel: eine saubere Umwelt und eine neue Ära der Fortbewegung. Simon Schnurrer, Berater und Automotive-Partner beim Beratungsunternehmen Oliver Wyman, sowie Dipl.-Ing. Johannes Berking, Principal der globalen Automotive und Manufacturing Practice und der globalen Operations Practice bei Oliver Wyman, gaben ihre Sicht der Entwicklungen in einem Interview preis.

MM: Traditionellen Automobilzulieferern droht beim Thema Elektromobilität die Positionierung in die letzte Reihe. Anbieter, die noch stark auf den klassischen Verbrennungsmotor setzen, laufen Gefahr Marktanteile zu verlieren. Wo liegen die Schwächen der Automobilhersteller bzw. welche Rolle spielen die Zulieferer?
Simon Schnurrer: Große Teile der Wertschöpfungsstruktur der Automobilindustrie, gerade in Europa, sind sehr stark auf den Verbrennungsmotor spezialisiert und haben dort häufig viele Jahre Vorsprung gegenüber Wettbewerbern. Eine Umstellung auf Komponenten und Systeme für Elektromobilität kostet nicht nur Zeit und Geld, sie ist auch gleichzeitig einem ganz anderen Wettbewerbsumfeld ausgesetzt. Hier haben häufig Großunternehmen insbesondere aus Asien die Nase vorn. Dies gilt für Automobilhersteller und -zulieferer gleichermaßen.
Dipl.-Ing. Johannes Berking: Hinzu kommt, dass das Risiko der Marktdurchdringung, deren Geschwindigkeit und der (noch) unklaren Technologiealternativen sehr hoch ist. Ein Payback auf die erforderlichen, hohen Investitionen ist damit sehr schwer absehbar. Gerade kleinere Unternehmen haben somit nicht die Chance, sich breit aufzustellen und müssen sich in einem unklaren Umfeld stark fokussieren. Falls dort auf das falsche Pferd gesetzt wird, kann dies fatale Folgen für das ganze Unternehmen haben.

MM: Zudem wird prognostiziert, dass die Chinesen sich den E-Markt erobern.
Berking: In China hat man in der Tat früh erkannt, dass die Elektromobilität eine große Chance ist, den historisch bedingten Wettbewerbsnachteil in der Verbrennungsmotorentechnologie hinter sich zu lassen. Unternehmen haben sich daher bereits früh und intensiv positioniert.
Schnurrer: Und: Chinesische Unternehmen setzen häufig schon seit Jahren voll auf Elektromobilität, gerade weil sie sich davon einen schnellen Anschluss an die globale Wettbewerbsfähigkeit in der Automobilindustrie erwarten. Neben den Unternehmen investiert auch der chinesische Staat stark in das Thema und fördert Unternehmen und Verbraucher stärker als etwa Deutschland. Die Konkurrenzfähigkeit auch von europäischen Unternehmen nimmt jedoch derzeit deutlich zu. In Summe dürfen wir uns auf einen sehr harten Wettbewerb ab 2020/21 einstellen.

Simon Schnurrer, Berater und Automotive-Partner beim Beratungsunternehmen
Oliver Wyman

MM: Die ständige Frage nach der Reichweite ist nur ein Punkt, der bei den negativen Beurteilungen von E-Mobility eine Rolle spielt. Spielen diese Themen – Reichweite, Ladeverfügbarkeit, preiswerte Angebote von Automobilen, einfaches Laden bzw. zu viele verschiedene Anbieter, unterschiedliche Stecksysteme etc. – schlussendlich eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung?
Schnurrer: Jede dieser Herausforderungen kann überwunden werden – nur ist der Zeithorizont jeweils ein anderer. Bei Reichweite, Ladeverfügbarkeit und technischer Standardisierung wird die nächste Generation von E-Fahrzeugen große Schritte machen. Wirklich preiswert werden Nutzung und Besitz von E-Fahrzeugen jedoch absehbar noch nicht werden.
Berking: Hinzu kommt allerdings ein in der Breite vorhandenes Misstrauen gegenüber dieser neuen Technologie. Oft werden die möglichen Einschränkungen von den Fahrzeugkunden überbewertet und schrecken bei der Kaufentscheidung ab. Schlussendlich wird der Erfolg der Elektromobilität aber nicht von Quoten oder gesetzlichen Vorgaben an die Hersteller bestimmt, sondern vom Kaufverhalten der Kunden. Entscheidend ist also, dass sich die Kundenwahrnehmung beziehungsweise die der Elektromobilität gegenüberstehende Skepsis bei Fahrzeugkäufern wandelt.

MM: Ist die Frage, ob gerade in Europa, bei einem Landesgrenzenübertritt der Lenker eines E-Fahrzeugs auf Hürden für das Aufladen trifft gerechtfertigt?
Schnurrer: Es bilden sich zunehmend internationale Lade- und Abrechnungsmodelle heraus, so dass internationale Reisen für E-Fahrzeug-Nutzer zunehmend einfacher werden. Trotzdem sollte man sich vor Reiseantritt informieren, ob in Transit- und Zielländern ausreichend zugängliche Lademöglichkeiten verfügbar sind.
Berking: Langfristig sollte dies keine Rolle spielen, kurzfristig kann es tatsächlich Einschränkungen bedeuten.

MM: Bedeutet der Umstieg auf Elektrofahrzeuge nicht auch, dass weniger Fahrzeuge unterwegs sein werden und dem Bürger hierbei die Entscheidung ein eigenes Fahrzeug zu besitzen schlussendlich abgenommen wird?
Schnurrer: Sharing, also das Teilen von Fahrzeugen unter mehreren Nutzern, ist unabhängig vom Antrieb ein Trend. Besitz eines Fahrzeugs ist inzwischen für weniger Menschen, gerade in jüngeren Generationen, attraktiv und in manchen städtischen Gegenden sogar schon eher die
Ausnahme als die Regel. Für viele steht einfach der Aufwand, ein Fahrzeug zu besitzen, nicht mehr im Verhältnis zu den steigenden Kosten. Es wird unserer Meinung nach jedoch noch eine ganze Weile dauern, bis wir wirklich spürbar weniger Fahrzeuge auf den Straßen sehen.
Berking: Umgekehrt ergibt sich allerdings eine andere Dynamik: Da Sharing andere Rahmenbedingungen bietet, etwa was Park- und Lademöglichkeiten angeht und auch das Risiko für den Kunden minimiert – er fährt im Allgemeinen nicht sein eigenes Auto – ist das Potenzial für den Einsatz von Elektrofahrzeugen in diesem Bereich deutlich höher als im konventionellen.

MM: Thema Stromversorgung: Inwiefern sind die Voraussetzungen für ein gesichertes Stromnetz bei steigendem Bedarf (bei E-Autos) derzeit gegeben?
Schnurrer: Bei einigen der aggressiveren Szenarien kann man sich gerade in Vororten und „Speckgürteln“ um die Großstädte herum schon die Frage stellen, ob das Orts- und Verteilnetz überhaupt die Belastung durch E-Fahrzeuge aushält. Zum Beispiel teilen sich oft drei Häuser auf dem Land eine 50A-Sicherung – wenn dann abends alle gleichzeitig von der Arbeit heimkommen, die Fahrzeuge zum Laden anstecken und dazu noch in Küche und Wohnzimmer zusätzliche Verbraucher anschalten, kann es zur Überlastung beziehungsweise zum lokalen Blackout kommen. Kurzfristig ist hier nur das clevere Management von bestehenden Kapazitäten eine Option.

Dipl.-Ing. Johannes Berking, Principal der globalen Automotive und
Manufacturing Practice und der globalen Operations Practice bei Oliver Wyman

MM: Wie sieht der Netzausbau generell in Europa aus? Muss noch viel investiert werden um E-Mobility zunehmend anbieten zu können?
Schnurrer: Definitiv. Das ist auch deshalb kritisch, weil der Netzausbau sehr langsam vorankommt und das Ganze sehr schnell teuer werden kann. So richtig fühlt sich auch niemand dafür verantwortlich – Autoindustrie, Politik und Netzbetreiber verlangen jeweils von den anderen, die Initiative (und die Kosten) zu übernehmen.
Berking: Viel Druck in dieser Richtung gibt es allerdings auch nicht: Im Vergleich zum Aufbau von Netzen mit Glasfaser- Internet zum Beispiel ist das öffentliche Interesse noch recht gering.

MM: Und: Ist Elektromobilität wirklich so viel „sauberer“ als
es die Verbrennungsmotoren sind? Immerhin ist der enorme Bedarf an Strom gegeben.
Schnurrer: Das hängt sehr stark davon ab, wie der Fahrstrom erzeugt wird. In einem Land wie Österreich oder auch Norwegen, in dem der Energiemix sehr stark durch nachhaltige Erzeugung generiert wird, ist das Problem etwa deutlich kleiner als in Ländern mit hohem Anteil an Kohlekraftwerken. Ein Elektrofahrzeug kann dann schnell auf einen rechnerischen CO2-Ausstoß von 60 Gramm pro Kilometer kommen und ist damit kaum besser als ein moderner Verbrenner.
Berking: Daneben darf auch die oft noch nicht gelöste Entsorgung der Batterien und der höhere Aufwand in der Produktion betrachtet werden. Langfristig sind das lösbare Probleme, kurzfristig aber besteht dort in der Tat noch großer Handlungsbedarf. Ähnliches war übrigens vor einigen Jahren in einem anderen Bereich zu beobachten: Bei Solarzellen. Vor acht Jahren wurde für die Produktion im Schnitt noch so viel Energie verbraucht, wie dann über einen Zeitraum von acht Jahren sauber erzeugt wurde. Dieses Verhältnis konnte aber drastisch verbessert werden.


Quelle: Oliver Wyman

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